Draußen rollt die Welt vorbei (UA) - Werkstatt - kultur 126 - Mai 2016

Draußen rollt die Welt vorbei
Foto: Thilo Beu
Draußen rollt die Welt vorbei
Foto: Thilo Beu

Tot sein ist auch keine Lösung



Für sein 2015 bei den Ruhrfestspielen uraufgeführtes Stück Der Mann aus Oklahoma bekam Lukas Linder den Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker und den Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts. Das vom Theater Bonn in Auftrag gegebene Stück Draußen rollt die Welt vorbei ist bereits das zehnte Bühnenwerk des 1984 geborenen Schweizer Autors. Die Uraufführung in der Werkstatt hat Mina Salehpour inszeniert, die hier im vergangenen Jahr auch Traurigkeit und Melancholie von Bonn Park herausbrachte. Die 1985 in Teheran geborene Regisseurin erhielt 2013 den renommierten „Faust“-Preis für eine Arbeit am Berliner Grips Theater. Realismus auf der Bühne interessiere sie nicht, sagte sie 2015 in einem Gespräch mit der „Zeit“.
Der Anlass für Linders Stück ist freilich ganz real: Ein Mann liegt zwei Jahre lang tot in seiner Wohnung, und niemand merkt es. Man kennt so etwas aus den vermischten Nachrichten: Menschen, die einsam vor dem laufenden Fernseher verrotten, während draußen die Welt vorbeirollt. Von allfälliger Sozialkritik ist Linders surreale Farce jedoch glücklicherweise weit entfernt. Sein Text ist gespickt mit witzigen Pointen und Sentenzen („Totsein ist kein Wunschkonzert“), seine einsamen Figuren sind skurrile Außenseiter ihres eigenen Lebens.
Zum Beispiel Nelly (Laura Sundermann), die im burschikosen Schlabber-Outfit TV-süchtig rumhängt, Snooker schaut und Pizza kaut, bis das Unerwartete geschieht. „Es ist keine schöne Wende im Leben eines Menschen, wenn eine Pizzaschachtel redet“, konstatiert sie nüchtern. Das Ding behauptet, ihr Zwillingsbruder Franz zu sein, der ihr einst einen Schatz versprach. So erscheint sie halt trotzig vor dem Mietshaus, in dem Franz gerade seinen Geburtstag feiert. Eine Art Showtreppe (Bühne und Kostüme: Maria Anderski) führt ins Reich des Zerberus Max Mogul. Auf dem Boden ein Teppich mit Speckkäfer-Muster. Die fleißigen Aasfresser scheinen sich munter zu vermehren beim Leichenschmaus. Denn Franz ist tot. Und die dramatische Leerstelle in einer absurden Komödie, deren schwarzen Humor Salehpours Regie poppig bunt einfärbt.
Da ist der wuselige Hausmeister­/Show­master Max (Robert Höller), der Franz mit Duftbäumchen erfreuen möchte und gelegentlich vor Aufregung unterm Teppich verschwindet. Seine tiefe Verehrung gehört der exzentrischen Schriftstellerin Adele Napf-Günsterloh (als herrlich durchgeknallte Diva: Ursula Grossenbacher), die gern spiritistische Sitzungen veranstaltet und mit Franz ins Grüne fahren möchte. Ihre schüchterne Tochter He (Julia Keiling) verschanzt sich in einem überdimensionalen Pullover und möchte mit Franz ins Kino. Grotesk überschminkt im rosa Tütü wird sie immerhin den eleganten Kammerjäger (Alois Reinhardt) in die erste Reihe locken, der ihr sogar das „Du“ anbietet, allerdings erst nach Heirat und Kindersegen.
Leisere Töne hat vor allem der hervorragende Bernd Braun als pensionierter trauriger Clown, der einst als „Großer Schreck“ glänzte und nun melancholische Witze reißt.
Es sind lauter vereinzelte Figuren in einer kommunikationsunfähigen Gesellschaft, die hier monologisierend um sich selbst und einen Kadaver kreisen. Irgendwann prasseln dann auch die sauber abgenagten Knochen auf die Bühne. Nur Nelly verweigert sich hartnäckig dem bizarren Totenkult der Hausbewohner und bleibt lebendig. Das ist stark in diesem irrwitzigen Panoptikum aus lustvollem Unsinn und makabrer Trostlosigkeit, das trotz vieler schöner Einfälle nicht so recht überzeugt. Eine passable Reanimation des absurden Theaters mit hohem Unterhaltungswert und kleinen Blicken in menschliche Abgründe. Ohne die üblichen Videos und Song-Einlagen. Allein dieser konzentrierte Purismus ist eine Besichtigung wert. Das exzellente Schauspiel-Ensemble sowieso. E.E.-K.

Spieldauer 80 Minuten, keine Pause
die Weiteren Termine:
10.05. // 31.05. // 4.06. // 14.06. //
30.06. // 6.07. // 8.07.16


Tipp: Am 22. Mai lädt die Theatergemeinde in der Reihe „Nachgefragt“ ins Foyer der Kammerspiele ein zur Diskussion über das Stück und die Inszenierung.

Donnerstag, 25.08.2016

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