Woyzeck - Halle Beuel - kultur 125 - April 2016

Woyzeck, Theater Bonn
Foto: Thilo Beu
Woyzeck, Theater Bonn
Foto: Thilo Beu

Hirnwütig im Hamsterrad

Von einer hohen Schräge rutschen und rollen sie immer wieder auf die knöcheltief mit Wasser gefüllte Bühne. Klar: Dem armen Soldaten Woyzeck steht das Wasser bis zum Hals. Am See vor der Stadt wird er seine geliebte Marie töten. In der Halle Beuel hat der junge Bonner Regisseur Simon Solberg, der nun zum ersten Mal am Theater seiner Heimatstadt arbeitete, ein „Projekt nach Georg Büchner“ inszeniert. Also das Dramenfragment Woyzeck gründlich zerlegt und mit weiteren Texten aus der Novelle Lenz, Briefen und Abhandlungen des Autors kombiniert.
Die Bühne von Maike Storf sieht aus wie ein riesiger Abenteuerspielplatz mit Baumhaus, Kletterseil und einer Art Puppenstube für Marie und ihr Kind. „Ohrringlein“ steht darüber, denn an diesem Geschenk des Tambourmajors (als Figur gestrichen) entzündet sich bekanntlich Woyzecks Eifersucht. Marie bestellt lieber blinkende Rollschuhe bei „Pealando“, auf denen irgendwann das ganze fünfköpfige Ensemble vergnügt durchs Wasser saust. „Pea“ ist ohnehin ein Stichwort, denn der Doktor experimentiert mit einer Erbsendiät und bezahlt sein Versuchskaninchen Woyzeck fürs Wasserlassen. Aus dessen groteskem Sack-Kostüm platzen dann massenhaft grüne Bällchen (für frische Energie bei der Erbsenfolter sorgt „Pea-Bull“) in den zunehmend mit diversen Materialien gefüllten Teich. Ansons­ten rennt die Truppe in weißer Unterwäsche herum, in Frakturschrift bedruckt mit bekannten Schlüsselwörtern und Merksätzen des Dichters (Kos­tüme: Julia Philippi). Der mathematische Gaul in Büchners gespenstischer Jahrmarktsszene wird zum irren Spektakel. Der Doktor (famos: Hajo Tuschy) engagiert sein medizinisches Opfer in einer gruseligen ­Casting-Show.
Im Woyzeck-Dschungelcamp geht die Sprachkunst gelegentlich in Gebrüll und unvermeidlich lauter Pop-Musik unter. Oft und gern knallen sie zudem wütend große Autoreifen in die Pfütze, weshalb die Zuschauer in der ersten Reihe zum Schutz Plastikplanen erhalten. Selbstverständlich dürfen die per Live-Kamera in Großaufnahme auf Leinwände projizierten Gesichter der Akteure (Video: Joscha Sliwinski) nicht fehlen in diesem feuchtfröhlichen Panoptikum von geläufigen Regie-Einfällen. Rheinischer Karneval, Konfettiregen, Playboy-Häschen, Platons präerotische Kugelwesen und postdramatisches Pseudo-Theater („Soll ich die Szene mal nackt spielen?“) kommen ebenfalls vor.
„Der deutschen Wirtschaft“ gewidmet ist das vom Bundesadler bewachte Büro des Hauptmanns (Laura Sundermann, die sogar mal im weißen Kunstpelz baden geht) – Kapitalismuskritik ist angesagt und durchaus vorgedacht in Büchners revolutionärem Kampfpathos. Der von allen Seiten gedemütigte Woyzeck (kraftvoll verkörpert von Serkan Kaya als Gast) arbeitet sich ab im Hamsterrad der Humankapital-Maschine, die hier wechselweise als Mühlstein oder Uhr unerbittlich ihr Werk tut. „Beschäftigung“ ist einer der zentralen Begriffe der Inszenierung. Lohnarbeit als moralische Daseins-Rechtfertigung, physische und psychische Ausbeutung als Grundlage eines brutalen Kreislaufs, in dem das Individuum verschwindet.
Woyzecks Soldatenkamerad Andres (Robert Höller) hält sich zumeist aus dem Getümmel raus und stellt eigenwillige Betrachtungen an.
Die Seele der Aufführung ist jedoch Maike Jüttendonk als Marie. Sie macht all die trostlose Sehnsucht sichtbar, die im dem wüsten Geschäft genau das kleine Stück menschliche Würde behauptet, ohne die die Welt nicht auszuhalten wäre. „Wie ein blutig Eisen“ leuchtet der Mond über dem Dorfteich; Woyzeck greift zum Messer. In solch zarten Schmerzmomenten kommt die turbulente Aufführung plötzlich zu einem berührenden Stillstand. Bevor sie wieder die Spaßbremse lockert und mit Volldampf rumjuxt in den Hirnwindungen des mit 23 Jahren gestorbenen Genies. Letztere kann man übrigens nach der intelligenten Vorstellung noch bei einem Gang durch die Bühnenfantasien besichtigen.
Der Rest sieht aus wie eine Abi-Party für Literatur- oder Philosophie-Leistungskurse. Solbergs furios Amazon-schillernde Kabale-und-Liebe-Inszenierung am Kölner Schauspiel ist stets ausverkauft. In der Halle Beuel geht bei der letzten Premiere in dieser Spielstätte des städtischen Schauspiels noch mal die kokett antibürgerliche Luftpost voll auf die Piste (inkl. Aufräumpersonal, das bei diesem Woyzeck ordentlich schwer zu tun hat), bevor die tolle Raumbühne vom Pantheon häufiger bespielt wird. E.E.-K.

Spieldauer ca. 1½ Std., keine Pause
die Weiteren Termine :
1.04. // 8.04. // 10.04. // 16.04. //
18.04. // 24.04. // 30.04. // 2.05.16

Donnerstag, 07.07.2016

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