Nathan - Kammerspiele - kultur 125 - April 2016

Nathan (Kammerspiele, Theater Bonn)
Foto: Thilo Beu
Nathan (Kammerspiele, Theater Bonn)
Foto: Thilo Beu

Kollision zweier Welten


„Ich habe Angst“, bekennt der Mann im Zuschauerraum. Er zählt die islamistischen Terroranschläge auf, die seit dem 11. September 2001 die westliche Welt erschütterten. Auch jetzt im Theater könne eine Bombe platzen. Schließlich gilt Bonn unter Experten als Hochburg salafistischer Ideologen und Gewaltprediger. Es gibt hier Missionare des Dschihad, die den ‚Unglauben‘ verdammen und ihre Wahrheit behaupten.
Der besorgte Mann (gespielt von Glenn Goltz) wird als Lehrer versuchen, in seiner aus jungen Muslimen bestehenden Schulklasse Samuel Huntingtons The Clash of Civilisations und Lessings Drama Nathan der Weise zur Diskussion zu stellen. Vergeblich, denn die Jugendlichen haben keinen Bock auf kulturelle Bildung und schon gar nicht auf deutsche Klassiker. Die Reclamhefte mit dem quasi sakrosankten Text, zum deutschen Literaturkanon gehörig und zum Manifest der religiösen Toleranz und des aufgeklärten Humanismus erhoben, fliegen ihm zerfetzt um die Ohren. Bis das Klassenzimmer (Ausstattung: Cary Gayler) krachend auseinanderbricht und auf einer durch den Spalt hereingefahrenen reclamgelben Mini-Bühne Lessings Verse doch noch zu ihrem Recht kommen.
Regisseur Volker Lösch, bekannt für seine ‚Bürgerchöre‘ und zuletzt mit der Stückentwicklung Waffenschweine in den Kammerspielen sehr erfolgreich, hat Lessings 1783 posthum in Berlin uraufgeführtes, im Jerusalem der Kreuzzüge spielendes „Dramatisches Gedicht“ zusammen mit dem Dramaturgen Stefan Bläske massiv eingestrichen. Um diesen auf entscheidende Momente reduzierten Nathan herum tobt nun das heutige, von gegenseitigem Misstrauen geprägte Leben. Während Lessing vor allem der eigenen, christlich-abendländischen Kultur kritisch den Spiegel vorhalten wollte und die anderen als positives Gegenbild entwarf, reflektiert die Inszenierung die aktuellen Bruchstellen und Vorurteile.
Zwölf junge Menschen (überwiegend Schauspielstudenten aus der Region und hier aufgewachsen) aus muslimischen Familien spielen die Schulklasse. Es sind ganz normale junge Erwachsene der zweiten und dritten Einwanderer-Generation, für die ihr Glaube bisher kein dominierendes Thema war. Sie haben über ihre persönlichen Erfahrungen mit Religion, Ausgrenzung und Ängsten gesprochen, die sich verschärft haben seit den Terroranschlägen von Paris im November und den Übergriffen in der Silvesternacht. Aus ihren Berichten entstand der Text, den sie nun – losgelöst von individuellen Äußerungen – gemeinsam artikulieren. Unter der Chorleitung von Tim Wittkop meistern sie die spielerisch und sprachlich anspruchsvolle Aufgabe eindrucksvoll. Ein Schüler freilich boykottiert den Unterricht und hat sich dem radikalen Islam verschrieben. Immer wenn seine aggressiven Sentenzen und Gewaltfantasien mit Maschinengewehren und rollenden Köpfen auftauchen, erscheint die Szenerie verfremdet in blutrotem Licht. Es sind nicht die Positionen der Spieler, die dort zur Sprache kommen. Aber Verschweigen wäre fahrlässig.
Wie ein ‚Fremdkörper‘ ins Geschehen implantiert ist Lessings historische Utopie vom friedlichen Miteinander der Religionen. Die Inszenierung stellt indes deutliche Bezüge her zwischen der ernsten Komödie und den Gegenwartsmomenten. Großartig spielt Bernd Braun den Juden Nathan, der durch ein von Christen angezetteltes Pogrom seine gesamte Familie verlor und durch das ihm anvertraute christliche Waisenmädchen Recha (Julia Keiling) neue Hoffnung gewann. Um sein geliebtes Kind wird er kämpfen. Gegen den mächtigen Sultan Saladin, der für seine Kriegszüge Geld braucht und ihm bei der berühmten Ringparabel den Säbel an den Hals setzt. Daniel Breitfelder spielt den muslimischen Herrscher und den christlichen Patriarchen, der den Juden gern auf dem Scheiterhaufen sähe. Gefährlich ist auch der raubeinige junge Tempelherr (Jan Jaroszek), der Recha aus dem Feuer rettete. Trotz aller erotischen Anziehung kann aus den verliebten jungen Leuten kein Paar werden. Denn zu ihrer Enttäuschung entpuppen sie sich als Geschwister.
Birte Schrein, die vor zwei Jahrzehnten als Recha in der unvergesslichen Nathan-Inszenierung von Dietrich Hilsdorf in den Kammerspielen debütierte, spielt nun die christlich eifernde Daja und Saladins kluge Schwester Sittah. Den Klosterbruder und den Derwisch gibt Manuel Zschunke (in der besichtigten zweiten Aufführung sprang Sören Wunderlich für den erkrankten Kollegen ein).
Bei der märchenhaften Familienzusammenführung bleibt der väterliche Nathan allein und zitiert die bekannte Szenen-Anweisung: „Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang.“ Womit die Vorstellung jedoch nicht zu Ende ist. Denn nun gibt sich der Lehrer als Jude und Israel-Fan zu erkennen. Damit ist ein Thema angeschnitten, das in der aktuellen politischen Diskussion unterzugehen droht. Viele Juden in Deutschland fühlen sich erneut bedroht. Nicht nur von jungen Muslimen, die das Existenzrecht des jüdischen Staates bestreiten, sondern auch vom wiedererstarkten Rechtsradikalismus, der mit „Wir sind das Volk“-Parolen Fremdenhass säht.
Bei seiner Feldforschung in verschiedenen Milieus ist das Inszenierungsteam (unterstützt von den Dramaturginnen Nadja Groß und Elisa Hempel) auf unterschiedlichste Positionen von toleranter Aufgeschlossenheit bis krasser Ablehnung gestoßen. Manches spiegelt sich in den Ergebnissen der Fragenbogen-Aktion, die das Theater im Vorfeld der Premiere an allen Spielstätten unternahm. Glenn Goltz in der Rolle des Lehrers zitiert ausgewählte Passagen aus ca. 150 anonym zurückgesandten Zetteln. Die Äußerungen sind nicht repräsentativ (in zahlreichen einschlägigen Blogs findet sich Schlimmeres), aber sie zeigen das Bild einer verwirrten Gesellschaft, die vor Herausforderungen steht, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Die eurozentristische Aufklärung ist ein Modell, das kulturkritischer Fragen bedarf. Zweifellos sind nicht alle Muslime Terroristen, aber der weltweite Terror trägt seit Jahren das Gesicht des fundamentalistischen Islam und begründet die Angst von Juden und Christen. Die Besinnung auf gemeinsame Werte ist zumindest denkbar.
Auf der Bühne tanzen sie am Ende in karnevalsbunten Burkas den Orient-Walz. Vielleicht ein Albtraum des bildungsbürgerlichen Lehrers auf der Schiene von Michel Houellebecqs Unterwerfung, an dessen Erscheinungsdatum in Paris der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo verübt wurde. Vielleicht eine Vision der möglichen Gemeinsamkeit, die von gegenseitigem Respekt getragen wird wie einst das Drama, das hier als Theater im Theater seine Kraft behauptet. Ohne wohlfeile Antworten, aber nicht neben den Akteuren, sondern in ihrer Mitte. Besser kann brandaktuelles Stadttheater kaum sein. Ständig ausverkauft und heiß diskutiert – die Kammerspiele als Hauptspielstätte des Bonner Schauspiels sind mittlerweile gesichert. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause
die nächsten Termine:
1.04. // 8.04. // 24.04. // 30.04. // 6.05. // 27.05.16

Donnerstag, 07.07.2016

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.



Letzte Aktualisierung: 29.03.2024 14:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn