Interview mit Christoph Sieber - kultur 124 - März 2016

von Thomas Kölsch

Im Kern seines Wesens ist Christoph Sieber ein Optimist. „Sonst könnte ich meinen Job gar nicht machen“, sagt er lachend, als er zwischen zwei Drehtagen für die neue Satire-Sendung Mann, Sieber, die der Kabarettist seit September 2015 zusammen mit Tobias Mann gestaltet, ein wenig Zeit für ein Interview hat. „Die Gesellschaft ist denkfaul geworden, aber ich glaube an die Kraft des Dis­kurses.“ Ein Mann mit Hoffnung. Auch wenn das auf der Bühne mitunter anders wirkt. Da gibt der 46-jährige Kölner gerne mal den Rufer in der Wüste, der an der Taubheit der Menschen verzweifelt. Doch von Resignation will Sieber nichts wissen. Dann doch lieber kämpfen. „Ich kann nichts anderes – und ich liebe, was ich tue“, sagt er. „Ich habe nicht nur eine Mission, sondern auch die Lust am Spielen.“
Also hält Sieber wie etwa in seinem aktuellen Programm Hoffnungslos optimistisch dem Publikum den Spiegel vor und legt dabei gnadenlos den Finger in jede nur erdenkliche Wunde. „Natürlich gibt es Probleme, die wir nicht wegdiskutieren können“, sagt er dazu. „Wir jagen immer noch der Vorstellung hinterher, dass Wohlstand, Frieden und Freiheit nur für uns reserviert seien. Jetzt erhalten wir die Quittung. Es muss also Konsequenzen geben, und ich denke, dass wir die Gesellschaft ändern müssen, um sie zu erhalten. Ich weiß, dass das möglich ist.“ Aus eigener Erfahrung? „Ja. Mein Vater ist schon über 70 und war lange Jahre Bürgermeister für die CDU. Aber wenn er jetzt in meinem Programm sitzt, sagt er hinterher immer, dass ich ja recht habe mit meiner Kritik an Kapitalismus und Neoliberalismus. Er hinterfragt also sein eigenes Weltbild, und das finde ich großartig.“ Einfach mal nachdenken und andere Denkweisen zumindest in Augenschein nehmen, statt immer nur in alten Mustern zu verharren – wenn das gelingt, ist viel erreicht. „Ich will Zweifel in der Welt säen“, sagt Sieber, der zugleich darauf Wert legt, selbst keine allgemeingültigen Lösungen vorzuschreiben. „Natürlich gibt es Antworten – oft laufen die auf Verzicht hinaus. Aber ich möchte sie niemandem vorgeben, sondern dem Pub­likum lediglich ihre Optionen vor Augen führen.“ Mit Erfolg. „Oft kommen nach der Show Leute zu mir und erklären, dass sie das alles schon längst gewusst hätten, aber noch nie zuvor derart damit konfrontiert wurden.“
Diese Konfrontation hat es in sich: Der ausgebildete Pantomime Sieber hat ein bemerkenswertes Talent für Worte, mit denen er sein Publikum immer wieder in nachdenklich-erschrockene Stille versinken lässt, bevor er sie dann wieder aus dieser befreit. Auf und ab geht es, philosophierend, zynisch, satirisch, scharfzüngig. 2015 erhielt er dafür den Deutschen Kleinkunstpreis als bisher höchste Auszeichnung. Witzig, charmant, aber in seiner Haltung unerbittlich zu sein, bescheinigte die Jury ihm. Doch wie wird man vom schweigenden Darsteller zum Wortakrobaten? „Pantomime ist eine sehr poetische Kunst“, erklärt Sieber, „aber ich habe schon während meines Studiums in Essen festgestellt, dass mich die Themen aus Politik und Gesellschaft sehr reizen. Doch für das, was ich sagen will, gibt es in der Pantomime keine Auflösung. Ich möchte die Zeit aber nicht missen, zumal ich gelernt habe, eine Geschichte in wenigen Minuten zu erzählen und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.“
Parallel zu seinem Solo-Programm bastelt Sieber zusammen mit Tobias Mann an der gemeinsamen ZDF-Sendung. Die Zielsetzung: Jene zu erreichen, die sonst eher nicht ins Kabarett gehen. Deshalb auch manchmal die Kalauer, die von der Kritik nicht allzu gnädig aufgenommen wurden. „Selbst Dieter Hildebandt hat mitunter auf die Kraft der Kalauer gesetzt“, verteidigt sich Sieber. Vor allem, wenn sie dabei helfen, bestimmte Bevölkerungsschichten zu erreichen. „Ich möchte die Abgehängten abholen und ihnen zeigen, dass jemand sie und ihre Sorgen ernst nimmt“, sagt der 46-jährige. „Zum Teil scheint dies zu funktionieren, zumindest erhalte ich entsprechende Mails von Leuten, die froh sind, dass sich jemand für sie einsetzt und ein bisschen mehr soziale Gerechtigkeit fordert. Solche Rückmeldungen machen mich immer sehr stolz, weil genau das einer der Gründe ist, warum ich jeden Abend raus auf die Bühne gehe.“ Und das in einer Zeit, in der die Unsicherheit zur Volkskrankheit geworden ist, Existenzen permanent bedroht sind und alles Fremde skeptisch beäugt wird. Auch da setzt Sieber an. „Der Witz ist der Gegenpol der Angst“, propagiert er. Und die Angst ist der größte Feind einer Gesellschaft. Vor allem, wenn diese denkfaul geworden ist, was auch viele Kabarettisten zu spüren bekommen. „Es gibt nun einmal keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme“, sagt Sieber. Nur Einsichten. Das ist schon mal ein Anfang.

Donnerstag, 07.07.2016

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