Fatih Çevikkollu - kultur 119 - Oktober 2015

Eine Mischung aus Schlagen und Streicheln –
Fatih Çevikkollu fordert mehr „Emfatih“

von Thomas Kölsch

Schwerste Kost ganz leicht darbieten – an so einer Aufgabe hat sich schon so mancher Künstler die Zähne ausgebissen. Doch Fatih Çevikkollu zeigt sich ungerührt, während er in einem Café in der Kölner Neustadt einen frischen Minztee trinkt und über sein künstlerisches Selbstverständnis spricht. „Es ist doch eigentlich einfach“, sagt er. „Man kann durchaus relevante Themen verhandeln und dabei dem Publikum Freude schenken. Man braucht nur eine gute Pointe, die die Wahrheit letztlich der Entspannung entgegen führt.“ Akzeptanz durch Lachen also. „Ich will Bewusstsein schaffen für das, was unsere Gesellschaft prägt“, führt der 42-Jährige aus. „Dabei darf einem das Lachen auch ruhig mal im Halse stecken bleiben. Aber letztlich muss die Erlösung folgen.“ Getreu dem Prinzip Zu­ckerbrot und Peitsche. „Genau. Es ist eine Mischung aus emotionalem Schlagen und Streicheln, die ich in meinen Programmen pflege.“

Derartige Aussagen sprechen Bände über das Selbstverständnis Çevikkollus. Von dem eins­tigen „Quotenkanaken“ an der Seite Atze Schröders (in der Rolle des Murat, die er von 1999 bis 2006 verkörperte) ist schon lange nichts mehr zu sehen, doch auch das Label des Comedians, das er früher gerne für sich nutzte, gehört mittlerweile der Vergangenheit an. Jetzt, so sagt er selbst, ist sein Wirken „relevanzgesteuert“. Große Themen, behandelt mit Leichtigkeit, das ist das Ziel. Wenn Çevikkollu spricht, hört man in jedem Wort den ernsthaften Kabarettisten, der sehr genau auf die gesellschaftspolitischen Fragen unserer Zeit schaut, große psychologische und philosophische Analysen versucht und historische Zusammenhänge herstellt. „Wenn man sich mal anschaut, wie etwa nach der Wiedervereinigung Politiker wie Volker Rühe die Asyldebatte führten und immer wieder Benzin ins Feuer schütteten, bis es zu Tragödien wie den Ausschreitungen von Hoyerswerda kam, und das mit manchen Kommentaren zur Situation der Flüchtlinge heute vergleicht, findet man gewisse Parallelen“, sagt er etwa. „Dabei sollte die Frage doch eigentlich nicht lauten, wo jemand herkommt, sondern welche Probleme er hat und wie man ihm helfen kann. Aber diese Empathie, die geht leider etwas verloren.“ Die Gesellschaft sei eben nicht länger altruistisch, sondern vielmehr narzisstisch gestört, trotz der Solidaritätsbekundungen für die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge, die immer wieder aufwallt. Momente, die viel zu schnell wieder vom Erfolgsdruck hinweggespült werden. „Jeder will der Beste sein, will die Karriereleiter hochklettern, die eigentlich nur ein Hamsterrad ist – und das Lebenswerte, das Mitfühlende und die Solidarität bleiben dabei auf der Strecke.“

Dennoch treibt auch Fatih Çevikkollu die Frage nach der Herkunft eines Menschen um. „Eigentlich ist das ja schon Rassismus, wenn jemand fragt, ob ich Türke oder Deutscher bin“, sagt der gebürtige Kölner. Andererseits nutzt er die eigenen Erfahrungen aus zwei Kulturen immer wieder gerne auf der Bühne oder bei Führungen im Bonner Haus der Geschichte, erzählt von seinen Integrations- und Desintegrationserfahrungen, von Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche und dem urdeutschen, sich leidenschaftlich gern empörenden Hans im eigenen Körper. Nicht nur in Deutschland – sein erstes Programm Fatihland, für das er 2006 den Jurypreis des Prix Pantheon erhielt, hat er längst auf türkisch übersetzt und immer weiter angepasst. Ob das auch mit dem kommenden passieren wird, wird sich zeigen. Emfatih heißt es und befindet sich derzeit in einer intensiven Testphase; der Auftritt im Bonner Pantheon am 31. Oktober wird die erste Vorstellung nach der Premiere sein. „Das wird noch besser als
Fatihtag“, verspricht Çevikkollu voller Überzeugung. Ein Spiel mit Wahrheit und Schmerz soll es sein, voller Freischwimmer im Mittelmeer und Fanatikern mit realem oder geistigem Schleier. Und doch geht es Çevikkollu nicht so sehr darum, jemanden anzuklagen: „In Emfatih kann man die Utopie des friedlichen Zusammenlebens wieder spüren“, behauptet er. Einfach mal wegkommen von den Rändern und aus den Nischen, zurück in die empathische Mitte. Und sich dort ein paar Streicheleinheiten abholen.


***

Fatih Çevikkollu spielt sein
neues Programm Emfatih am
31. Oktober 2015, ­20 Uhr,
im Pantheon.

Donnerstag, 26.11.2015

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 18.04.2024 18:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn