Bärbel Stenzenberger und Olaf Reinecke - kultur 114 - März 2015

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Bärbel Stenzenberger und Olaf Reinecke
– Die Bonner Tanzkompanie bo komplex

Das „b“ steht für Bärbel, das „o“ für Olaf. Gemeinsam gründeten die beiden 2009 die freie Tanzkompanie bo komplex, die nach sieben abendfüllenden Produktionen und mehreren Kurzstücken eine feste Größe in der Bonner und überregionalen Tanzwelt ist. Beide lieben Überraschungen und Verbindungen verschiedener Künste. Vor ziemlich genau einem Jahr erhielten sie den stets zu Karneval im „Springmaus-Theater“ verliehenen „Mäuseorden“ und reihten sich damit als erste Tänzer ein in die illustre Schar von Ordensträgern, die „mit ihrer pfiffig rastlosen Kreativität das Leben in unserer Heimatstadt bereichern“. Der Vorsitzenden der Theatergemeinde Bonn fiel damals – in Vertretung des Bonner Generalintendanten – die Ehre zu, die Laudatio zu halten.
Beide Künstler sind mit der Bonner Oper eng verbunden. Olaf Reinecke tanzt derzeit den männlichen Part des Duetts in Strauss‘ Salome, das hier an die Stelle des legendären „Schleiertanzes“ der Prinzessin tritt. (s. Kritik S. 3). Den Walzer hat er selbst choreografiert. „Das führt mich über ein Vierteljahrhundert zurück in meine Jugendzeit“, erzählt er beim Milchkaffee auf dem „TownShip“. Denn bereits als Vierzehnjähriger wurde Olaf mit seiner Partnerin Deutscher Schülermeister im Gesellschaftstanz (Standard und Lateinamerikanisch) und erreichte später sogar als junger Ballroomdancer das Halbfinale der europäischen Championships. „Meine Mutter schickte meine Schwester und mich in einen Kurs für kreativen Kindertanz. Mir gefiel das sehr, und als ich gefragt wurde, ob ich auch Turniertanz machen möchte, habe ich spontan zugesagt. An eine Profi-Karriere habe ich damals jedoch nie gedacht.“ Der gebürtige Hamburger studierte an der Universität seiner Heimatstadt Sport- und Bewegungswissenschaft mit Schwerpunkt Tanz. „Eine klassische Ausbildung habe ich nicht. Als meine Lehrer mir John Neumeiers berühmte Schule am Hamburg Ballett empfahlen, habe ich das abgelehnt: ‚Ich habe keine Lust rumzustehen und Frauen zu heben‘. Es war Zufall, dass kurz nach meinem Sportdiplom eine Choreografin aus der freien Szene gerade einen Tänzer suchte und ich so zum Bühnentanz kam.“
Das Gehobenwerden und Spitzentanz mag Bärbel Stenzenberger dagegen gern. Die gebürtige Kasselerin, aufgewachsen in Mannheim, bekam schon als Kind Ballettunterricht. „Wie Olaf sollte ich eigentlich nur meine Schwester begleiten. Sie verlor schnell die Lust – ich blieb.“ Mit sieben Jahren lernte Bärbel bereits an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Mannheim, war dort Jungstudentin, studierte kurz an der Folkwang Hochschule Essen unter Pina Bausch und absolvierte dann ihr Diplom als Büh­nentänzerin in Frankfurt am Main. Ihr erstes festes Engagement folgte am Staatstheater Mainz. Neugierig suchte sie Herausforderungen an diversen Stadttheatern in ganz Deutschland, gehörte zeitweise zum Ballett Schindowski Gelsenkirchen und wirkte zudem in freien Tanzprojekten mit. Im Jahr 2000 zog sie mit ihren beiden Kindern nach Bonn. „Es gefiel mir hier so gut, dass ich quasi Wurzeln schlug. Eigentlich wollte ich im Ballettsaal der Oper nur trainieren, aber als Pavel Mikulaštik mir sozusagen von der Stange weg einen Solistenvertrag anbot, entschied ich mich nach einigen Jahren als freischaffende Tänzerin doch wieder fürs feste Ensemble.“
Seit der Auflösung der Truppe ist sie überwiegend als Choreografin für Oper, Operette, Musical und Schauspiel tätig. An der Oper Bonn hat sie z.B. L’Elisir d’Amore (2010), Manon Lescaut und Rusalka (beide 2011) cho­reo­grafiert und seit 2009 regelmäßig die beliebten Produktionen des Kinderchors inszeniert. Mit den lus­tigen Bremer Stadtmusikanten endete das erfolgreiche Konzept zum Beginn dieser Saison angesichts neuer Pläne im Bereich Jugend-Musiktheater. Bärbel ist aber auch an vielen anderen Häusern und bei Projekten von Heidelberg bis Kiel aktiv. In der laufenden Spielzeit ist sie zudem fest angestellt als Trainingsleiterin und Assistentin des Ballettchefs Andris Plucis am Landestheater Eisenach.
Olaf gastierte als Tänzer an zahlreichen deutschen Stadttheatern und wirkte in Inszenierungen vieler prominenter Regisseurinnen und Regisseure mit. Vor seiner Rolle in Salome war er in Bonn Dance-Captain bei den furiosen Tanz-Sequenzen in Händels Rinaldo. Die fabelhafte Produktion aus Zürich wandert demnächst weiter nach Dortmund, wo Olaf die gesamte choreografische Einstudierung übernimmt. Flüchtig als Kollegen über den Weg gelaufen waren Bärbel und er sich schon mehrfach, bevor sie 2005 zum ersten Mal zusammenarbeiteten in der Kölner Tanzwerkstatt „Barnes Crossing“. „Es war ein Tanzstück zu Beethovens 9. Sinfonie, bei dem Olaf schon mitgewirkt hatte und ich einsprang“, berichtet Bärbel. „Wir merkten schnell, dass wir gerade wegen unserer unterschiedlichen Richtungen sehr gut harmonierten.“ So entstand die Kompanie bo komplex, die im Herbst 2014 in der Brotfabrik ihr fünfjähriges Bestehen feierte. Zusammen mit der Prager ProART Company entstand das Stück Another JAN, in dem es um Gewalt und Widerstand geht.
Neue Impulse suchen sie immer wieder und arbeiten bei ihren Projekten oft auch spartenübergreifend. Ihr Erstlingswerk Schwes­termein widmete sich anlässlich des 200. Geburtstages des Komponisten den Kindern von Robert und Clara Schumann, wurde nach der erfolgreichen Uraufführung in der Brotfabrik zu Gastspielen in anderen Städten eingeladen und eröffnete 2010 das Bonner Schumannfest. Geradezu überwältigend war die Resonanz auf Gisela – Giselle (2011), eine multimediale Tanzhommage an Gisela ­Pflugradt, die Leiterin des Bonner Euro Theater Central. Mit dieser Produktion gastierten sie im Rahmen des städtischen Kulturaustauschs sogar in Armenien und China. 2013 kreierten sie für die besondere Raumsituation des Euro Theaters das Zweipersonenstück Konsequenzen. Im selben Jahr kam in Siegburg zum 200. Geburtstag Richard Wagners ihr Stück …im echten Land… heraus. Ein großer Erfolg war auch ihr Stück minotaurus nach Friedrich Dürrenmatt (2011), mit dem sie u.a. im Centre Dürrenmatt Neuchâtel überschwänglich gefeiert wurden. In der Umfrage zur Spielzeit 2012/13 des Online-Magazins „tanznetz.de“ erhielt Bärbel Stenzenberger die Auszeichnung als Choreograf/in des Jahres, Olaf Reinecke wurde als Tänzer des Jahres gewählt. 2013 wurde Bärbel außerdem als einzige Choreografin aus der freien Szene für den Deutschen Tanzpreis „Zukunft“ nominiert; den Preis erhielt dann John Neumeier für sein Bundesjugendballett Hamburg.
Kürzlich in der Brotfabrik wieder aufgenommen wurde ihre letzte große Produktion: Romeo & Julia mit drei Paaren unterschiedlichen Alters. Anlässlich des Gedenkjahres zum Beginn des Ersten Weltkriegs schufen sie im Frühjahr 2014 im Bonner Künstlerforum eine Serie von Performances. Regelmäßig arbeitet bo komplex mit der belgischen Videokünstlerin Lieve Vanderschaeve zusammen. Ihr wird übrigens im Sommer 2015 die Theatergemeinde Bonn eine Ausstellung widmen.
Bärbels Sohn Florian Stenzenberger ist mittlerweile ebenfalls vom Theatervirus infiziert. Im Jungen Ensemble Marabu spielt er den Prinzen in Yvonne, die Burgunderprinzessin und wird als Statist an der Oper mitwirken bei Hoffmanns Erzählungen. „Manchmal fahren wir jetzt gemeinsam zum Opernhaus: Ich zum Auftritt in Salome, er zu den Proben, von denen er mir jedoch nichts verraten will“, sagt Olaf lachend. Und Bärbel nennt noch einmal den Anspruch, der die Arbeit von bo komplex prägt: „Inspirationen suchen, energetisch dranbleiben, Grenzen sprengen. Auf keinen Fall Stillstand“. Wir dürfen also auf neue kreative Bewegungen gespannt bleiben.

Dienstag, 01.09.2015

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