Honegger, Arthur (1892 - 1955)

kultur 114 - März 2015

Das älteste von vier Kindern des Kaufmanns und Kaffeeimporteurs Arthur Honegger wurde in Le Havre geboren. Dort hatte sich der aus dem Züricher Oberland gebürtige Vater bereits 1870 niedergelassen. Er wohnte mit seiner Frau Julie (geb. Ulrich), einer begabten Amateurmusikerin, in der schweizerischen „Kolonie“ in der Nähe des Handelshafens. Honeggers musikalische Ausbildung erfolgte – abgesehen von einem kurzen Intermezzo in Zürich - in Frankreich. Am Pariser Conservatoire waren A. Gédalge (Kontrapunkt und Fuge) und Ch.-M. Widor (Komposition und Or­ches­tration) seine Lehrer, weitere ausgedehnte Studien absolvierte er, ebenfalls dort, bei L. Capet (Violine), V. d’Indy (Dirigieren) und M. Emanuel (Musikgeschichte). Erste Achtungserfolge erzielte er in den Konzerten des von ihm mitbegründeten Centre musical et dramatique indépendent. Honegger wurde Mitglied der „Groupe des Six“, was sich im frischen und unbekümmerten Ton vieler seiner kürzeren Kammermusikkompositionen dieser Jahre widerspiegelt. Sein bedeutendster Beitrag zum Repertoire der „Six“ war das Concertino für Klavier und Kammerorchester aus dem Jahre 1924 mit der raffinierten Verwendung von Jazz-Zitaten. Aus der Zusammenarbeit mit J. Cocteau ging Antigone hervor, eine seiner formal kühnsten und ästhetisch erfindungsreichsten Opernpartituren, die leider nur mäßigen Erfolg hatte. Die choreographische Symphonie Skating Rink entstand 1921/22 für die Ballets suédois und ist ein spektakuläres Rollschuhballett.
Das Oratorium Le Roi David brachte Honegger bereits 1921/23 Weltruhm ein sowie den Durchbruch als volksnaher Komponist. Weitere wichtige Oratorienwerke waren Judith (1924/27) und Jeanne d’Arc au bûchet (1935, rev. 1944). In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg wurde er mit der Komposition großformatiger Chorwerke (Cris du monde (1930/31) oder La Danse des morts (1938)), Balletten für Ida Rubinstein, anspruchsvoller Kammermusik und Werken für den Film und das Radio zum bedeutendsten zeitgenössischen Tonsetzer. Honegger war im Musikleben Frankreichs und der Schweiz erfolgreich und kam in den Genuss zahlreicher, gut dotierter Kompositionsaufträge. Ab den 1940er Jahren verdanken viele von Honeggers Werken ihre Entstehung der Unterstützung prominenter Schweizer Gönner. So auch seine fünf großen Symphonien, anspruchsvolle Meisterwerke, die teilweise gesellschaftskritische bzw. religiöse „Botschaften“ in den Werktiteln enthalten.
Honeggers Œuvre zeichnet sich durch Vielseitigkeit, Experimentierfreude und Anpassungsfähigkeit an die unterschiedlichsten künstlerischen Mitarbeiter aus. Stilistisch findet sich eine große Bandbreite von Gregorianik über Bachsche Polyphonie, romantischen Orchestersatz und Polytonalität bis zu vereinzelten Anklängen von Zwölftontechnik. In den Zwischenkriegsjahren schrieb Honegger Sonaten und Sonatinen für fast alle erdenklichen Instrumentalkombinationen, wie sonst außer ihm nur noch Hindemith und Milhaud. Mehrere seiner Oratorien gingen aus bescheidenen Bühnenmusiken hervor, die Honegger mit wenigen Kunstgriffen zu operntauglichen Dramen umfunktionierte. Sein Repertoire reicht von Gebrauchsmusik bis hin zur Auseinandersetzung mit rein musikalischen Problemstellungen, z.B. in den drei Streichquartetten. In seiner eigenen, unverwechselbaren Handschrift wirken oftmals „germanisch-schwermütige“ und „französisch-sinnliche“ Züge kongenial zusammen. Eines seiner beliebtesten und griffigsten Orchesterwerke ist das musikalische Portrait der legendären Dampflokomotive Pacific 2.3.1 (s.u.) aus dem Jahre 1923. Damit setzte Honegger seiner Eisenbahn- und Sportwagenleidenschaft ein Denkmal.
Für Honegger waren Ruhe und Abgeschiedenheit die Grundvoraussetzung für seine umfangreiche künstlerische Produktion, die weit über 200 Werke umfasst. Er lebte jahrzehntelang als Einsiedler am Fuße des Montmartre, schräg gegenüber der Wohnung D. Milhauds, am Boulevard de Clichy. Er unternahm aber auch ausgiebige Europatourneen, oft als Interpret und Dirigent eigener Werke.
In seinen autobiographischen Schriften, die nach Kriegsende erschienen, und auch in Veröffentlichungen der darauf folgenden Jahre war Honegger ein unerbittlicher Kritiker des europäischen Musiklebens und er beklagte die mangelnde Wertschätzung der zeitgenössischen Tonsetzer in der Öffentlichkeit.
Honegger erlag 63-jährig einem Herzschlag. Die Rezeption seiner Kompositionen beschränkt sich heutzutage auf wenige bekannte Einzelwerke. E.H.

Dienstag, 01.09.2015

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