Erwin Grosche - kultur 114 - März 2015

Ich will nicht so richtig fassbar sein
- Erwin Grosche über Kinderblicke und Entschleunigung

von Thomas Kölsch

Eigentlich liebt Erwin Grosche seine alten Nummern viel zu sehr. Sie drangeben? Für ihn extrem schwer. „Irgendwie bedauere ich es, dass ich seit Ende vergangenen Jahres ein neues Programm mache“, sagt er. „Bis die neuen Texte so gut sind, wie sie sein müssten, ist es ein langer Weg und ein Leben mit Mittelmaß. Ich habe jetzt schon einiges geändert, und komme so langsam zu einer Form, die mir ansatzweise zusagt. Zum Beispiel all die kabarettistischen Elemente – die haben mir nicht gefallen. Da hat das Publikum gleich nach Doppeldeutigkeiten gesucht, die zum Teil gar nicht vorhanden waren.“ Zumal Sprüche nach dem Motto „eine Frau kann nicht einparken“ auch nicht zu jemandem wie Erwin Grosche passen, selbst wenn sie dem Titel „Abstandhalter“ durchaus gerecht würden. Solche Witze kann jeder reißen, aber doch nicht dieser Mann mit den großen Augen, der sich bis heute eine Art kindlicher Unschuld und den damit einhergehenden Humor erhalten hat, wofür er von seinen Fans umso mehr geschätzt wird.

Die Welt immer wieder neu entdecken: Das ist Erwin Grosches Geheimnis. „Ich genieße es, bei den Spaziergängen mit meinem Hund immer wieder an den selben Stellen vorbeizukommen und nach kleinen Veränderungen Ausschau zu halten“, erklärt er. „Oder beim Einkaufen zu überlegen, welche Geräusche man mit welchen Gegenständen gut machen könnte.“ Alles mit einem Kinderblick tun und darin das Glück finden. Oft ohne große Hintergedanken. „Bei mir kommt man mit dem Kopf nicht weiter“, unterstreicht der 59-Jährige, „aber wenn man den abschaltet, kann man wahrscheinlich auch das machen, was ich tue.“ Nun, vielleicht nicht. Dafür sind Grosches Lieder und Texte in all ihrer Einfachheit dann doch zu ungewöhnlich. Wenn der Föhhhhhhhn schööööööön stöööööhnt und Katzen ratzen, ist der Meister der absurden Miniaturen in seinem Element. „Ich bin schon ein bisschen stolz darauf, dass es mir nach 40 Jahren immer noch Spaß macht, auf der Bühne zu stehen“, sagt er. Auch wenn er mittlerweile eigentlich am liebsten vor Kindern auftritt. „Die machen sofort mit“, freut er sich. „Sie nehmen mich beim Wort und damit so, wie ich bin.“ Nichts gegen seine erwachsenen Fans, betont er sogleich. „Aber es ist nicht überall wie in Bonn. Wenn man sechs Stunden durch die Walachei zu einem Auftritt fährt, bei dem dann 40 Menschen warten, die mich noch nie gesehen haben und mit meiner Art von Humor nichts anfangen können, ist das nicht so berauschend. Andererseits vermeide ich es auch zunehmend, in großen Städten zu spielen. Da tritt dann parallel Bob Dylan auf, das bringt dann auch nichts. Da würde ich ja selbst lieber zum Konzert gehen.“ Dass er immer noch als Geheimtipp gilt, kann Grosche allerdings verschmerzen, zumal er ohnehin nicht so gerne reist. „Ich fühle mich zu Hause in Paderborn sehr wohl“, bekennt er. Im heimischen Garten sitzen oder in der Natur unterwegs sein, das reicht. Meistens. Wenn doch nur alle zu ihm kommen würden. Denn ohne die Bühne, die Auftritte, das Funkeln in den Augen des Publikums, wenn er eine Nivea-Dose zückt oder sich den „literarischen Schräglagen“ nähert, geht es dann doch nicht. Ach, diese alten Schätzchen. „Selbst Nummern, die ich jeden Abend spiele, liebe ich einfach“, gesteht er.

Singen, lesen, spielen, unterhalten und für ein oder zwei Stunden ein wenig anders in und auf die Welt schauen: Das macht Erwin Grosche aus. Er ist der Harlekin der Kleinkunst, ohne Maske zwar, aber nicht weniger verspielt. Zeit- und alterslos könnte man ihn nennen. „Als ich anfing, war ich mit 18 Jahren der Jüngste unter den Kabarettisten, und so komme ich mir auch heute noch vor, auch wenn ich bald 60 werde“, sagt er. Vielleicht schon deshalb, weil er sich auf der Bühne von den großen Problemen dieser Welt fernhält. „Ich bin eben unschuldig-philosophisch: Ich glaube an das Gute“, gesteht er lachend. „Natürlich beschäftige ich mich intensiv mit dem, was so passiert auf unserem Planeten, aber das mache ich privat. Die Form meines Spiels würde ohnehin nicht zu einem Weltverbessererton passen.“ Stattdessen sorgt er für eine kleine Auszeit. Ganz in Ruhe. Entschleunigt. Und ein wenig verrückt. „Glück ist, sich im Nonsens zu verlieren“, sagt er gerne. Nicht immer ist diese Mischung aus kindlicher Begeisterungsfähigkeit und feinsinnigem Witz direkt zu durchschauen. Ganz bewusst. „Ich will nicht so richtig fassbar sein“, erklärt Grosche. Keine Sorge. Das dürfte beinahe unmöglich sein.

Dienstag, 01.09.2015

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