Salome - Oper Bonn - kultur 114 - März 2015

Salome
Foto: Theater Bonn
Salome
Foto: Theater Bonn

Tod im Caféhaus



Als „lauter perverse Leute“ hat Strauss selbst die Figuren seiner 1905 uraufgeführten Oper Salome bezeichnet. Das ungarische Regie- und Ausstattungsduo Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka platziert sie im Look der 1920er Jahre an Wiener Caféhaus-Tischen. Das ironisch goldgerahmte Art-Deco-Bühnenbild mit Schachbrettboden wiederholt sich um 90 Grad gekippt (inkl. Mobiliar) an der linken Seitenwand. Auf Spiegeleffekte setzt die ganze Inszenierung, die raffiniert die Hintergründe der biblischen Geschichte vom Tod des Täufers Johannes auf eine psychologische Familientragödie zuspitzt. Sozusagen im Traumcafé Freud statt im historischen Palast des Herodes. Die in Oscar Wildes Drama, das Strauss als Vorlage diente, schon ziemlich aufdringliche Symbolik wird furchtlos vergrößert – im Hintergrund läuft eine riesige Sanduhr, das Elternpaar brennt (bei der Premiere musste die Feuerwehr eingreifen), und auf Salomes Kindergeburtstagstorte tropft Blut aus dem Kronleuchter. Aber das Konzept der Inszenierung geht so blendend gut auf, dass sie sicher eine Spitzenposition in der Interpretationsgeschichte des Werks verdient hat.
Salome ist hier nicht die männermordende Femme fatale, sondern eine durch frühkindlichen Missbrauch traumatisierte junge Frau. Ihr im Programmheft abgedruckter Stammbaum beglaubigt die mons­trösen Inzest-Verwicklungen ihrer Vorfahren. „Sie ist wie eine verirrte Taube“, singt ihr junger Verehrer Narraboth (mit schönem Tenorschmelz: Johannes Mertes alternierend mit Tamás Tarjányi), der sich später eifersüchtig mit einer Flaschenscherbe die Pulsadern aufschneidet. „Schreckliches wird geschehen“ warnt nicht nur der Page, der hier als in Narraboth verliebte Kellnerin (die Mezzosopranistin Lisa Wedekind, bei der Premiere eingesprungen für die indisponierte Kathrin Leidig) auftaucht. Als Service-Personal fungieren die Juden, während sich die prächtig dekorierten Soldaten an den Tischen tummeln. Ohne jeden der Sänger zu nennen: Eine solch hochkarätige Besetzung der anspruchsvollen kleineren Partien erlebt man selten.
Ein Ereignis in der Titelrolle ist die Sopranistin Nicola Beller Carbone, die die höllenschwere Partie schon an zahlreichen internationalen Häusern gesungen hat. Sie leuchtet als Vamp und Femme fragile alle emotionalen Momente präzis aus. Mit schwarzem Bubikopf zum weißen Abendkleid schwebt und torkelt sie mondsüchtig durch die ani­mierte Gesellschaft. Ein genialer Regie-Coup: Beim vor musikalischer Erotik berstenden „Tanz der sieben Schleier“ zieht sie sich nicht aus sondern um, während ein Tanzpaar (Nathalie Brandes und Olaf ­Reinecke) Wiener Opernballseligkeit verströmt. Aus dem verführerischen Society-Star wird wieder die kleine Prinzessin im unschuldsbraven Matrosenkleidchen. Zu sehr geliebt von Stiefvater Herodes, dem der Tenor Roman Sádnik stimmlich und schauspielerisch differenzierte Charakter-Dimensionen verleiht.
Wie eine Waffe trägt Anjara I. Bartz in der schillernd-dunklen Partie der Herodias ihre Zigarettenspitze vor sich her. Die rauchende Wut auf Gatten und Tochter kocht sie runter bis zum Gefrierpunkt. Die Frau will Blut sehen, während Salome zur „eigenen Lust“ den roten Lippen des Propheten Jochanaan verfällt. Der großartige Bariton Mark Morouse in der Rolle des Moralpredigers und Messias-Verkünders hat’s in dieser Familienkonstellation echt schwer, zumal er nur kurz seinen Kerker verlassen darf. In schmutzig ramponierter Uniform ist der unbeirrbare Revoluzzer für die saubere Salon-Gesellschaft eher eine Lachnummer. Für Salome jedoch der ‚neue Mann‘ und rohes Spiegelbild des väterlichen Vergewaltigers. Was zu ihren sexuellen Begehrensfantasien (zitiert aus dem biblischen Hohen Lied) aus dem Orchestergraben klingt, ist nur noch bedingt jugendfrei. Unter der Leitung von GMD Stephan Blunier zieht das Beethoven Orchester Bonn alle Register der Sado-Maso-Schwüle der vorletzten Jahrhundertwende. Der Klangkörper im Untergrund (inkl. fabelhafte Instrumental-Solisten) liefert einen brandheißen Sound, der die Gefühls-Explosionen auf der Bühne direkt begreiflich macht.
Salome wird in einem Amok-Albtraum zur Killerin. Jochanaans Mund, den sie zu küssen verlangte, ist nach seiner Enthauptung leider weg. Neben dem Familientisch liegt ein Puppen-Torso, dem gerade noch das blutige Kinn geblieben ist. Festlich serviert werden drei Köpfe, weshalb Herodes‘ Schlusswort „Man töte diese Frau“ ins Leere läuft. Sie sind schon gestorben, aber hier in einer bildmächtigen, musikalisch aufregenden Aufführung höchst lebendig.
Entschieden empfehlenswert, trotz allfälliger Buhs für die Regie bei der durchweg begeistert gefeierten Premiere, die auch überregional ein sehr positives Echo fand. E.E.-K.


Spieldauer ca. 100 Minuten, keine Pause

Dienstag, 01.09.2015

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