Willy 100. Im Zweifel für die Freiheit - Contra-Kreis-Theater - kultur 109 - Oktober 2014

Gelungene Geschichtsstunde

Gelungene Geschichtsstunde

Der Journalistikstudent Gunnar Gaasland aus Oslo hat eine klare Mission „Hitler muss weg, und dann kommt Europa“. Der 22-jährige Willy Brandt, als Herbert Frahm in Lübeck geboren und 1933 nach Norwegen emigriert, reist im Oktober 1936 mit gefälschtem Pass nach Berlin, um Verbindung mit dem Widerstand gegen die Nazi-Diktatur aufzunehmen. Die deutsche Hauptstadt hat sich bei der Olympiade als weltoffene Metropole präsentiert – der amerikanische Goldjunge Jesse Owens passt zwar nicht ganz ins rassistische Weltbild, aber die Menschen sind euphorisiert von der Aufbruchsstimmung. Die meis­ten haben Lohn und Brot, die Genossen bangen um ihre private materielle Existenz, die Geheimtreffen mit Kontaktpersonen werden zur Farce.
Das Stück Willy 100. Im Zweifel für die Freiheit, das nach der Berliner Uraufführung zum 100. Geburtstag Willy Brandts nun im Bonner Contra-Kreis-Theater zu erleben war, erzählt eine kurze, wenig bekannte Episode aus dem Leben des späteren Bundeskanzlers und Friedensnobelpreisträgers. Das von Johann Jakob Wurster verfasste und inszenierte Drama ist trotz sorgfältiger Archiv-Recherchen kein schlichtes Dokumentarstück und keine Heldengeschichte, sondern eine sehr kurzweilige Revue mit Gesangs- und Tanzeinlagen
Der Schauspieler Robert Seiler verkörpert eindrucksvoll den jungen Idealisten („Ich werde erst wieder Sozialdemokrat, wenn die Partei zu ihren Werten zurückfindet“), der nicht nur das Vertrauen in seine Mitmenschen verliert, sondern zunehmend an seiner eigenen Identität zweifelt. Sein Pass wird willkürlich eingezogen, sein mühsam angelernter norwegischer Akzent hält nicht allen Prüfungen stand. Verwirrt von dem, was er selbst spielt und dem, was ihm vorgespielt wird, muss er vom Schauplatz fliehen. Der ist im Contra-Kreis mit seiner Nähe zum Publikum geradezu ideal.
Mit rasanten Rollenwechseln zeigt das exzellente Ensemble, dass jeder auch ein anderer ist, gleichzeitig dafür und dagegen, existenziell bedroht und machtlos gegenüber dem Irrsinn des Apparats. Die Musik von Thomas Lutz, der auch in etlichen Rollen als Schauspieler mitwirkt, swingt im Stil der dreißiger Jahre. In den munteren, von den Nazis verpönten Sound mischen sich indes fast unmerklich schon düs­tere Töne.
Willy alias Gunnar gelang nach drei Monaten die Rückkehr nach Norwegen. Sein Versprechen „Ich komme wieder“, hat er gehalten. E.E.-K.

Die letzte Aufführung war leider schon am 14.09.14

Dienstag, 11.11.2014

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