Yannick-Muriel Noah - kultur 108 - Juli 2014

Elisabeth Einecke-Klövekorn trifft Yannick-Muriel Noah
: Tosca, Aida und demnächst Leonore

Tosca, Aida und demnächst Leonore
Seit dem Beginn der Spielzeit 2013/14 ist die kanadische Sopranistin Mitglied im Ensemble der Bonner Oper. Es ist ihr erstes festes Engagement nach etlichen Gastverträgen an berühmten Häusern in Europa und Nordamerika. Sie genießt es sehr, dadurch auch mal einige Monate an einem Ort verbringen zu können und mehr Zeit für ihren Mann und ihre drei Kinder zu haben. „Bonn is a beautiful and welcoming city, and a nice change from Toronto“, sagt sie. Als Arbeitssprache bevorzugt sie noch Englisch. „The girls (10 and 6) love their new school and their new friends, and they are now trilingual (French, English, German), which makes me very proud.” Ihr zweijähriger Sohn übt alle drei Idiome, während seine Mutter gerade in Österreich probt.
Im Juli singt Yannick-Muriel Noah die Aida bei den Opernfestspielen im burgenländischen St. Margareten und erzählt so begeistert von dem Open-Air-Aufführungsort, einem alten Steinbruch, und der monumentalen Inszenierung, dass man gleich dorthin reisen möchte. Am Stadttheater Klagenfurt gab sie 2008 in der Titelpartie der Oper La Wally von Alfredo Catalani ihr Europa-Debüt, nachdem sie 2007 beim renommierten internationalen Belvedere-Gesangswettbewerb in Wien gleich sechs Preise abräumte, u.a. den 2. Preis in der Kategorie Oper und den 3. in der Kategorie Operette sowie den begehrten Publikumspreis. Es war der Beginn einer ganzen Serie von wichtigen internationalen Auszeichnungen für die junge Künstlerin, die sich dem Bonner Publikum im November 2013 in der Titelrolle von Puccinis Tosca vorstellte. 2008 brachte ihr diese Partie den Durchbruch. In Toronto sprang sie für eine erkrankte Kollegin ein und sang mit großem Erfolg ihre erste Titelrolle überhaupt. „Bei der ersten Vorstellung fühlte ich mich noch wie ein Jagdtier im Schusslicht, bei der zweiten so sicher wie ein Fisch im Wasser. In dem Moment wusste ich: Das ist genau das, was ich machen will.“ Sie liebt diese Rolle, „weil die Sängerin Tosca ganz in ihrer Kunst lebt und plötzlich mit der brutalen Realität konfrontiert wird. Sie ist eine extreme Persönlichkeit, die innerhalb von Sekunden von mörderischer Wut zu großer Zärtlichkeit findet. Mit Tosca geht man wirklich durch die ganze Palette der Emotionen einer starken Frau.“
In die Wiege gelegt wurde ihr eine Opernkarriere nicht. Yannick-Muriel Noah kam in Madagaskar zur Welt, wo ihr aus Kamerun stammender Vater als Universitätsprofessor tätig war und eine hochbegabte einheimische Master-Studentin heiratete. Als Yannick-Muriel zwei Jahre alt war, verließ die Familie die frankophone Insel im indischen Ozean und ließ sich nach Aufenthalten in drei verschiedenen Ländern schließlich im kanadischen Ottawa nieder. „Meine Familie war nicht besonders musikalisch, sondern ganz normal kulturinteressiert. Bis ich als Studentin im Opernchor mitwirkte (übrigens bei „Tosca“), hatte ich noch keine Oper gesehen, nur viele Musicals. Als Teenager lernte ich Flöte, Saxophon und Klarinette, spielte im Schulorches­ter und in einer Jazz-Band. Weil ich auch gerne sang, entschied ich mich, privaten Gesangsunterricht zu nehmen. Dabei wurde mir endgültig klar, dass man auch ohne Instrumente aus sich selbst heraus Musik machen kann und empfand das als großes Glück. Mein erster Gesangslehrer meinte, dass ich eine Opernstimme habe. Mich faszinierte vor allem das Theater. Seitdem ich mit 5 Jahren als Kinder-Modell schon mal auf der Bühne aufgetreten war, wollte ich gern spielen. In mehreren Schultheater-Gruppen habe ich alles gemacht: Schauspiel, Bühnenbild, Kostüme, Regie, Technik. Ich habe sogar selbst Stücke geschrieben, Produktionen organisiert und bei Festivals geholfen.“ Und das muss man jetzt wieder auf Englisch sagen, weil es knapper nicht geht: „It was all a labor of love and we were never paid.“
Bevor sie sich endgültig für das Musiktheater entschied, absolvierte sie ein Architekturstudium an der Carleton University in Ottawa. „Architektur ist eine umfassende Kunst. Es gehört alles dazu: Skulptur, Zeichnen, Photographie, Licht, Konstruktion, Mathematik, aber auch Geschichte und Philosophie. Ich bin sehr froh, dass ich eine solch vielseitige Ausbildung bekommen habe. Oper ist ebenfalls ein Gesamtkunstwerk und vereint alle darstellenden Künste, Musik, Literatur, Bilder… Ich liebe die Verbindung von unterschiedlichen ‚skills‘ und freue mich immer, wenn ich etwas Neues lernen kann.“
Nach ihrem Gesangsstudium wurde sie Mitglied des Opernstudios der Canadian Opera Company in Toronto, der größten Opernproduktionsstätte in Kanada. „Der dortige Operndirektor Tom Diamond war auch mein wichtigster Schauspiellehrer. Er lehrte mich, alles von mir selbst auf die Bühne zu bringen, angstfrei zu agieren und ständig aufmerksam zu bleiben. Jede Interaktion fordert die eigene Persönlichkeit heraus. Jede Entscheidung für eine Geste löst eine innere Bewegung aus. Welche Emotionen das beim Publikum hervorruft, kann man indes nicht nur rational erklären.“ An der Canadian Opera debütierte sie auch als Cio-Cio San in Madama Butterfly und wurde von der Kritik für ihre hinreißende Stimme und ihre präzise Charakterisierung der Figur in höchsten Tönen gelobt.
Auf der Bühne bisher am häufigsten gesungen hat sie die Titelrolle in Aida. Vor der Premiere von Dietrich Hilsdorfs Bonner Inszenierung war sie mit dieser Partie schon zu erleben am Stadttheater Klagenfurt, am Theater Heidelberg, in Sabadell bei Barcelona, an der Lyric Opera Dublin und an der Michigan Opera. An der Staatsoper Hannover begeisterte sie 2011 als Madama Butterfly, in Heidelberg sang sie 2012 auch Ariadne auf Naxos. In Valencia gastierte sie als Margherita in Boitos Mefistofele an der Seite des mexikanischen Startenors Ramón Vargas. Ihr Australien-Debüt gab sie 2012 beim Melbourne-Festival in der Oper After Life des zeitgenössischen niederländischen Komponisten Michel van der Aa.
Yannick-Muriel Noah ist auch eine gefragte Konzertsängerin. Zu ihrem Repertoire gehören u.a. Händels Messiah, Verdis Requiem und Beethovens 9. Sinfonie. Im Rahmen des kommenden Bonner Beethovenfestes gibt sie am 28. September in der Oper ihr Rollendebüt als Leonore in Beethovens einziger Oper Fidelio. Die Proben dafür laufen schon, sie ist sehr begeistert von der Zusammenarbeit mit dem Ensemble und dem Inszenierungs-Team.
Und schickt mir kurz nach unserem Interview noch per Mail ein „Post Scriptum“: „Ich bin sehr glücklich, dass ich meinen Kindern viele Reisen ermöglichen kann. Es ist wichtig, verschiedene Kontexte zu erfahren, bei denen man mal zur Mehrheit und mal zur Minderheit gehört. This way, they will become more compassionate and resourceful adults.”
Wie ihre Mutter, die die Opernwelt auch als eine Ideenwelt begreift, die Modelle für bessere Formen des Zusammenlebens entwirft.

Dienstag, 04.11.2014

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