Vier Tanz-Highlights aus aller Welt - Oper Bonn - kultur 108 - Juli 2014

Compagnie Jant-bi Jigeen (Senegal) / Cedar Lake Contemporary Ballet (New York) / Royal Swedish Ballet / Ali und Hèdi Thabet

Compagnie Jant-bi Jigeen (Senegal) / Cedar Lake Contemporary Ballet (New York) / Royal Swedish Ballet / Ali und Hèdi Thabet
Täuschung als einzige Wahrheit


Diese Frauen haben eine Menge zu sagen. Am 20. Mai begeisterte die rein weibliche Compagnie Jant-bi Jigeen aus dem Senegal mit ihrer Produktion Afro-Dites, Kaddu Jigeen! das Bonner Publikum. Die neun afrikanischen Tänzerinnen zeigten in 70 spannenden Minuten selbstbewusst und kraftvoll, wie sie sich bewegen zwischen modernem Konsumrausch und alten Traditionen, zwischen importierten Schönheitsidealen und alltäglicher Gewalt, Nachbarschafts-Tratsch und Handy-Talk. Die Liebesgöttin Aphrodite – reflektiert in sehr verschiedenen Lebensmustern mit wütendem Witz, hinreißender Lust und unwiderstehlichem Optimismus.


Gleich zwei Tage später gastierte das Cedar Lake Contemporary Ballet aus New York in der wiederum ausverkauften Bonner Oper. Der norwegische Choreograph Jo Strømgren stellt in seinem Tanzstück Necessity, again Chansons von Charles Aznavour einem englischen Interview des französischen Philosophen Jacques Derrida gegen­über. Dessen These von der notwendigen Dekonstruktion traditioneller Gegensätze liefert das theoretische Grundrauschen zur tänzerischen Erkundung des Freiraums zwischen den Wörtern. Im Hintergrund flattern beschriebene Zettel wie die Dekoration einer Campus-Party. Die Tänzerinnen und Tänzer im 60er-Jahre-Outfit feiern leichtfüßig die pure Sinnlichkeit und setzen gegen die Versprachlichung der Welt die Beredtheit der Körper. Begonnen hatte der Abend mit Grace Engine der Kanadierin Crystal Pite. Männer und Frauen in Business-Anzügen stehen sich wie Kampfkollektive gegenüber, während die Stampfgeräusche einer Lokomotive sie antreiben. Alle sind Teile einer großen Maschine, die jeden Ausbruchsversuch bestraft. Eine tänzerisch atemberaubend perfekte Parabel der Selbstbehauptung im brutalen Rhythmus der ständig sich selbst überholenden Gegenwart.
Den Rhythmus selbst befragte das kurze Mittelstück Tuplet des Schweden Alexander Ekman, das in Bonn seine Deutschland-Premiere feierte. Vor stummen Videos von sprechenden Mündern und gestikulierenden Händen artikulieren die Tänzer auf Kommando individuelle Bewegungsfiguren. Sie sind selbst die Instrumente und gehorchen einem unsichtbaren Dirigat, was streckenweise sehr komisch ist, aber auch ein raffiniert verspiegelter Essay über das Vokabular tanzender Körper.



Zu den absoluten Höhepunkten der Saison gehörte Ende Mai das zweitägige Gastspiel des Royal Swedish Ballet mit Julia & Romeo in der großartigen Neuinterpretation des bekannten Shakespeare-Dramas durch den schwedischen Choreographie-Altmeister Mats Ek (*1945). Blutjung ist hier das Liebes­paar, das beim ersten Kuss selig im Erdboden versinkt. Zu einer Tschaikowsky-Musik-Collage bewegen sich ständig stählerne Wände, über die Romeo zu seiner Geliebten klettert, während seine Freunde lässig herumlungern, was bekanntlich tödlich endet. Auf Segways sausen die von Julias mächtigem Vater bestellten Bodyguards und einmal sogar die Amme herum. Am Ende landen die unschuldig Liebenden trotzdem kopfüber im Abgrund. Es ist ein Triumph der Unterlegenen, brillant getanzt von einem klassischen Spitzen-Ensemble mit viel spielerischem Witz und ergreifender Poesie.


Unvergesslich bleibt auch „Rayahzone“ der belgisch-tunesischen Brüder Ali und Hèdi Thabet am 11. Juni. Auf einem nordafrikanischen Hinterhof treffen sich zur Live-Musik von Sufi-Sängern der Tod, die Vernunft und der Wahnsinn. Auf Krücken mit einer Tierschädel-Maske gibt der einbeinige Hèdi den trotzigen Lebenskünstler. Virtuose Akrobatik mischt sich mit Spiritualität auf dieser rein männlichen Reise in eine fremde und doch ganz nahe allegorische Gedankenwelt, die die Grenzen des Körpers transzendiert. Dass bei dieser sehr speziellen, gut einstündigen Aufführung das Opernhaus nicht ausverkauft war, ist kein Beinbruch. Zumal der überzeugte Beifall die mutige Performance eindrucksvoll bestätigte. E.E.-K.
Wie es in der neuen Saison weitergeht mit den „Highlights des Internationalen Tanzes“, können Sie auf Seite 8 lesen.

Dienstag, 04.11.2014

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