Thaïs - Oper Bonn - kultur 108 - Juli 2014

Der Mönch und die heilige Hure

Der Mönch und die heilige Hure
Auf einem riesigen Kreuz liegt Athanaël in religiöser Verzückung. Oder ist es ein Albtraum? Sein Körper weist Spuren von Selbstgeißelung auf. Der junge Klosterbruder ist ein christlicher Fanatiker. Umsonst warnt ihn der alte Mönch Palémon davor, sich auf die Welt einzulassen. Regisseur Francisco Négrin macht in seiner psychologisch sehr präzisen Inszenierung von Jules Massenets selten gespielter Oper Thaïs von vornherein deutlich, dass Athanaël unbewusst kämpft mit seiner Sinnlichkeit und dass sein Verlangen, die schöne Kurtisane Thaïs auf den Weg der Tugend zu führen, seinem erotischen Begehren entspringt.
In Alexandria wütet er gegen die vergnügungssüchtige Gesellschaft im prunkvollen Palast der umschwärmten Thaïs, die er schließlich in einem Moment der Schwäche antrifft. Beim Blick in den Spiegel denkt sie an die Vergänglichkeit ihrer Schönheit. Athanaël bietet ihr die ewige Schönheit durch den Glauben an Gott. Bei ihrer „méditation religieuse“ erklingt dann das berühmte Violinsolo (wunderbar gespielt von dem Konzert­meis­ter Mikhail Ovrutsky), das sich in viele Ohren eingeschmeichelt hat und als Motiv im weiteren Verlauf regelmäßig wieder auftaucht. Der Bonner Generalmusikdirektor Stephan Blunier am Pult des Beethoven-Orchesters widersteht dem gängigen Kitschverdacht, unter dem diese Oper leidet, aufs Schönste und entfacht einen bei aller Süffigkeit ungemein differenzierten Klangzauber. Spielfreudig und musikalisch exzellent agieren auch der Opernchor und etliche Chorsolisten unter der Leitung von Volkmar Olbrich.
Bei Thaïs‘ Verwandlung von der Sünderin zur Büßerin erscheint in voller Größe die leuchtende Weltscheibe, die das grandiose Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic dominiert. Das Himmelslicht ist indes auch blendend. Athanaël wird seine Verblendung am Ende schmerzlich erkennen.
Der Bariton Evez Abdulla verkörpert diese Rolle mit einer ungeheuren physischen Präsenz und einer Stimme, die dramatische Energie und lyrischen Schmelz eindrucksvoll verbindet. Er ist der verführte Verführer, dessen religiöse Inbrunst zerstört, was er liebt. Gelegentlich plagen ihn vier tanzende Schakale – diese animalischen Versucher tauchen bereits auf in dem Roman von Anatole France, der die literarische Vorlage zur Oper lieferte.
Ein Ereignis ist die französische Sopranistin Nathalie Manfrino in der Titelrolle. Sie meistert mit ihrer beweglichen Stimme scheinbar mühelos alle Extreme dieser Partie. Sie ist eine strahlende junge Frau im golden schimmernden Prachtgewand (Kostüme: Ariane Isabell Unfried), aber auch das mädchenhaft zarte Geschöpf, das den väterlichen Schutz eines alten Weisen sucht. Die Regie hat diese stumme Rolle (verkörpert von dem hochgewachsenen dunkelhäutigen Yuri-Rango Binama) hinzugefügt.
Athanaël wird gnadenlos auch diesen Fremdling den Flammen überlassen, wenn er Thaïs‘ gesamten Besitz in Brand setzt (eindrucksvolle Videos: Joan Rodón Sanjuan).
Den reichen jungen Alexandriner Nicias, der für ein paar Liebesnächte mit Thaïs ein Vermögen opfert, gibt mit schönstem tenoralem Feuer Mirko Roschkowski. Charlotte Quadt und Stefanie Wüst singen die Sklavinnen, die zu seiner Feier des Eros animieren.
Nur noch als ein Schatten ihrer selbst erscheint die ‚bekehrte‘ Thaïs auf dem langen Weg durch die Wüste, bis Anthanaël endlich liebevoll ihre blutigen Füße versorgt und sie im Kloster der Äbtissin Albine (Susanne Blatter) abliefert. Bis zur Durchsichtigkeit fragil wird sie ihre Seele dem Himmelslicht anvertrauen. Am Boden zerstört bleibt Athanaël zurück, der zu spät begreift, dass die kreatürliche Liebe eine von Gott geschaffene Macht ist. Der alte Palémon (mit üppigem Bass:­ ­Priit Volmer) hatte ihn nicht grundlos gewarnt.
Eine spektakuläre, bis in feinste Detail durchdachte Inszenierung, visuell opulent ausgestattet und sängerisch geradezu traumhaft besetzt. Zum Abschluss der ersten Saison des neuen Generalintendanten Bernhard Helmich ein absolutes Highlight. Leider fand die letzte Vorstellung bereits am 27.Juni statt. Und leider wird Generalmusikdirektor Blunier seinen Vertrag in Bonn nicht verlängern. Großartiges Musiktheater ist in der nächsten Spielzeit aber sicher, und Helmich hat bereits durchblicken lassen, dass Nathalie Manfrinos erste Rolle in Bonn nicht die letzte sein wird. E.E.-K.

Dienstag, 04.11.2014

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