Tschick - Junges Theater Bonn - kultur 107 - Juni 2014

Roadtrip nach irgendwo

Roadtrip nach irgendwo


Der Wagen ist endgültig hinüber und Tschick vorläufig in einem Heim weggesperrt. Aber es war ein toller Sommer. Auch wenn Maiks Vater stinksauer ist, dass sein Sohn sich nun vor Gericht verantworten muss und vor lauter Wut zuschlägt. Maik wischt sich das Blut aus dem Gesicht, während er beginnt, seine Geschichte zu erzählen. Der vierzehnjährige Junge kämpft regelrecht um seine Wahrheit, die ihn die Welt plötzlich neu erfahren ließ. Tatsächlich „erfahren“, denn mit einem geklauten Auto haben er und Tschick sich auf eine Reise gemacht. In Richtung Walachei, wo vielleicht Tschicks Großvater lebt. Im Grunde nur nach „irgendwo da draußen“, denn „Karten sind was für Muschis“. Findet jedenfalls Maiks Klassenkamerad Tschick, der eigentlich Andrej Tschichatschow heißt, aus Russland stammt und nicht gern viele Worte macht.
Ziemlich rau ist der Umgangston der Jugendlichen in dem 2010 erschienenen Roman Tschick des 1965 in Hamburg geborenen und 2013 verstorbenen Autors Wolfgang Herndorf. Das 2011 u.a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnete Werk wurde rasch ein Bestseller und steht derzeit in der Bühnenfassung von Robert Koall an zahlreichen deutschsprachigen Theatern auf dem Spielplan. Das Junge Theater Bonn ist jedoch das erste, das die jugendlichen Rollen mit gleichaltrigen Darstellern besetzt.
Die Inszenierung von Lajos Wenzel, der auch das betonkalte Einheitsbühnenbild mit Ausblicken ins romantisch Blaue entworfen hat, stellt die Brüche zwischen ruppigen Dialogen und raffinierten Sprachbildern ebenso präzis heraus wie die Schnittstellen zwischen Erzählung und Drama. Seine Regie vermeidet jeden platten Naturalismus: Es gibt keinen schrottreifen Lada auf der Bühne; alles ist gespielt bis zum Joghurtbecher als Brombeergestrüpp. Vollkommen echt ist dagegen Maiks liebevoller Schulaufsatz über seine alkoholkranke Mutter, der ihm zeitweise den Spitznamen „Psycho“ eintrug und einen brutalen Tadel seines Deutschlehrers. Ungemein berührend verkörpert Marian Juhasz (alternierend mit Ricardo Rausch) den sensiblen, wohlstandsverwahrlosten Jungen, dessen Mama mal wieder eine „Beautyfarm“ (gleich Entzugsklinik) braucht, während Papa sich mit seiner jungen „Assistentin“ eine Auszeit gönnt.
„Voll cool“ agiert dagegen Tschick mit zweifelhaftem Familienhintergrund und leichter Russenmafia-Ausstrahlung (Kostüme: Brigitte Winter). Justus Einig (alternierend mit Yannic Currlin) spielt brillant diesen weichherzig robusten Typen. Dass er auf seinem Ghettoblaster nur eine Kassette mit Richard Clayderman hat, findet Maik reichlich abwegig: Statt ‚richtiger‘ Musik nur Klaviergeklimper (filmreife Bühnenmusik von Serge Weber). Dass die Klassenschönheit Tatjana (sieht nach Meinung der beiden „superporno“ aus) die beiden Außenseiter nicht zu ihrer Geburtstagsparty eingeladen hat, ist ein Tiefschlag fürs pubertierende männliche Ego. Wobei Tschick später zugeben wird, dass er eigentlich nicht auf Mädchen steht. Nicht auf den Mund gefallen ist dagegen die junge Isa (Lucia Zitz / Ricarda Langner), die total verdreckt und stinkend auf einer Müllkippe haust und weiß, wie man notfalls an Benzin kommt. Nach einer nassen Säuberungsaktion im Baggersee findet Maik Isa freilich unverschämt attraktiv.
Andrea Brunetti und Jan Hermann spielen außer Maiks an der Flasche hängenden Mutter und seinem cholerischen Vater auch alle anderen merkwürdigen Gestalten, denen die Jungs auf ihrer Reise begegnen. Die beiden Schauspieler aus dem erwachsenen Profi-Ensemble sind ständig präsent und springen virtuos in die verschiedenen Rollen vom in jeder Hinsicht durchgeknallten alten Schützen bis zur skurrilen Ökofamilie und einer völlig überdrehten Logopädin. Sie sind so herrlich grotesk, wie sie aus dem Blickwinkel der Jungen erscheinen.
Ganz unfallfrei verläuft die Fahrt durch blühende Landschaften dann doch nicht, weshalb die beiden Ausreißer schließlich bei der Polizei landen. Und Maik zusammen mit seiner betrunkenen Mutter auf dem Grund des heimischen Swimmingpools. „Man kann nicht ewig die Luft anhalten“, heißt es am Ende der atemberaubend flott und witzig inszenierten Geschichte einer wunderbaren Freundschaft auf dem Weg zum Erwachsensein. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, eine Pause
die nächsten Termine:
12.06. // 13.06. // 14.06.
geeignet für Zuschauer ab 13 Jahren.

Donnerstag, 16.10.2014

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