"Die menschliche Stimme" und "Die Unterrichtsstunde" - Euro Theater Central Bonn - kultur 106 - Mai 2014

Nadja Soukop in Die menschliche Stimme
Foto: Lilian Szokody/Euro Theater Central
Nadja Soukop in Die menschliche Stimme
Foto: Lilian Szokody/Euro Theater Central

Sprechoper und mörderische Abrechnung

Sprechoper und mörderische Abrechnung

Die Frau hat ein Mobiltelefon. Es ist ihre letzte Waffe im Kampf um eine gestorbene Liebe. Das Telefon ist der Rest einer Beziehung, die einfach vorbei ist. Der Mann am anderen Ende der Leitung wird heiraten. Aber nicht die Frau im weißen Kleid, die verzweifelt eine menschliche Stimme herbeisehnt. Vielleicht existiert dieser stumme Geliebte auch nur noch in ihrer Vorstellung. Sie kümmert sich um den gemeinsamen Hund und winselt um jedes Wort, das den Abschied nicht ganz so schwer macht. Die Schauspielerin Nadja Soukup macht aus dem berühmten Monolog La Voix humaine von Jean Cocteau – uraufgeführt 1930 in Paris – eine Liebesleid-Arie und eine Abrechnung: Der wohlhabende Typ, der sie fast um den Verstand gebracht hat, ist den ganzen masochistischen Gefühlsaufwand nicht wert.
Im zweiten Teil der Inszenierung des Hausregisseurs Peter Tömöry entsorgt sie als Dienstmädchen im knappen schwarzen Lackkostüm wie ein Racheengel die Opfer der Unterrichtsstunde. Eugène Ionescos 1951 uraufgeführter Einakter La Leçon ist eine Ikone des absurden Theaters. Thomas Franke spielt fabelhaft hintergründig den glatzköpfig feisten Professor, der schon der schlichtes­ten Addition eine philosophische Dimension zuspricht. Was seine Schülerin dazu treibt, jede denkbare Multiplikation mechanisch zu memorieren. Unterwürfig empfängt er die wissbegierige junge Frau, deren Eltern ein Vermögen in die Prüfung für eine akademische Laufbahn inves­tiert haben. Wie ein König thront er später auf seinem Lehrstuhl, drischt zunehmend sinnfreie Phrasen und genießt nervös seinen Triumph im grotesken Wörterkrieg. Seine Lehrmethode ist sadistisch, seine Lüs­ternheit mörderisch. Virginie Cointe verkörpert das Objekt seiner Lektion: Selbstbewusst am Anfang, dann völlig verwirrt und am Ende masochistisch dran glaubend. Schwarzweiße Totenkränze liegen in der suggestiven Ausstattung von Melinda Lörincz auf den Stühlen schon mal bereit. Die brutal zerstörte Frau ist nicht die erste und nicht die letzte Schülerin, die der professoralen Sprachfolter erliegt.
Cocteau und Ionesco gehören zu den Hausgöttern des Euro Theater Central. Tömöry hat die beiden literarischen Klassiker aus Frankreich nun tiefschwarzhumorig miteinander verbunden. Ein höllenkomischer Seiltanz über die Abgründe der Gefühlsgrammatik und die Leerstellen des reichlich angestaubten Existenzialismus. Für Zuschauer unter 16 nicht geeignet.
E.E.-K.


Spieldauer ca. 2 Stunden,
eine Pause

Mittwoch, 08.10.2014

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