Glückliche Tage - kultur Nr. 26 - April 2006

Das Glück der Ausweglosigkeit - Glückliche Tage von Samuel Beckett in den Kammerspielen

Diese Winnie ist keine tragische Verliererin und keine komische Gewinnerin. Sie ist nicht die enervierende Quasselstrippe, die sich im Fluss der beliebigen Wörter verheddert. Anke Zillich nimmt die Wörter ernst, wenn sie mit ihnen auf dem schmalen Grat zwischen Lust und Verzweiflung spielt in Stefan Heisekes Inszenierung, mit der das Theater Bonn dem irischen Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett zum 100. Geburtstag gratuliert. Bühnenbildnerin Gesine Kuhn hat für Glückliche Tage einen schwarzen Raum entworfen, in dem nur ganz hinten hoch oben ein kleines Lichtrechteck leuchtet, das vielleicht nur ein leeres Bildschirmfenster ist: Ausblick in eine fingierte Realität oder ein fremder Einblick in die Realitätsfiktion, aus der Winnie so viel Leben saugt, dass die Wüste um sie herum zu blühen scheint. Dennoch: Die Wüste ist schwarz wie verbrannte Erdschollen oder ein glänzender Schuppenpanzer, in dem Winnie am Anfang erst bis zur Brust drinsteckt, am Ende bis zum Hals. Die hinteren Reihen des Zuschauerraums in den Kammerspielen sind schwarz verhängt, was aber leider nicht ganz reicht, um dem Raum die konzentrierte Intimität zu verleihen, die Zillich ihrer Figur mit überwältigender Intensität zuspielt. Wenige Spotlichter heben gleißend hell ihren Kopf hervor; Winnies reduzierte Existenz ist plastisch, alles andere bleibt dunkle Fläche. Winnie lebt völlig alterslos am Rand des Todes, eine Stimme manchmal nur noch, der man lieber mit geschlossenen Augen lauschen möchte, wenn sie Becketts Sprachmusik zum Klingen bringt. Die Regie gönnt ihr dabei im ersten Teil leider allzu viele Pausen und rhythmische Ritardandi, die sich erst im zweiten Teil erschließen.
Trotzdem sollte man zuschauen: Wie Anke Zillich ihre Arme ausbreitet, zum Weckerschrillen einen neuen glücklichen Tag begrüßt und mit präzis gesetzten Gesten das kleine Glück in den alltäglichen Verrichtungen vom Zähne- bis zum Brilleputzen, vom neckischen Hütchen bis zum mittäglichen Sonnenschirm und zum abendlichen Gesang mit unverbrüchlicher Sicherheit behauptet, ist ein kleines Theaterwunder. Keinen Gegenstand, den sie aus ihrem schwarzen Sack holt, lädt sie mit Bedeutung auf, nicht mal den Revolver oder die Operetten-Spieluhr. Sie ist die Körper gewordene Zeit, eine Allegorie der Fortuna mit radikal beschnittenen Flügeln. In ihren schönsten Momenten entwickelt sie eine trotzige Leichtigkeit, die jenseits aller virtuosen Gedankenfluchten berührt. Dann ist sie nicht nur die naive Frau, die ihre Beschädigungen hinter dem Korsett der bürgerlichen Ordnung versteckt, sondern eine Wissende, die listig gerade aus der Enge ein Stück Freiheit hervorzaubert und aus dem Unterleibsverlust ein Stück unverschämter Erotik.
Wolfgang Jaroschka ist der brave Willie, der am ersten glücklichen Tag fast unsichtbar bleibt, nuschelnd mit ein paar Sätzen aus der Zeitung Winnies Gerede und Fürsorglichkeit die Stichworte liefert und am zweiten Tag aus seiner Höhle kriecht, aber den Aufstieg über Winnies Panzer nicht mehr schafft. Sisyphos als männliches Tier und weiblicher Kopf: Zwei absurde Helden des Glücks, die nicht mehr leiden, weil sie die Wahrheit aller Schmerzen begriffen haben. Sie liegt an der Oberfläche der puren Grammatik des Futur II, das Vergangenheit aus der Zukunft in die Gegenwart projiziert: „Keine Besserung, keine Verschlimmerung, keine Veränderung“. Jeder Tag wird also „wieder ein himmlischer Tag“ gewesen sein. Anke Zillichs hinreißende Winnie übernimmt die Garantie dafür. E.E.-K.

Aufführungsdauer: 2½ Std. mit Pause

Donnerstag, 18.01.2007

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