Weiße Teufel

Liebe, Leichen und Karrieren - Weiße Teufel von John Webster in den Kammerspielen

Bei den Todesarten waren Shakespeares Zeitgenossen ziemlich erfinderisch. Zur mörderischen Aktion geht's in John Websters wüster Tragödie also gern und häufig. Neben der bekannteren Herzogin von Malfi ist The White Devil das einzige erhaltene Stück, das Webster allein verfasst hat und nicht - wie zu seiner Zeit durchaus üblich - als Mitglied eines Autorenkollektivs. Großer Erfolg war dem Drama zu Websters Lebzeiten (ca. 1579 - 1625) nicht beschieden. Seine trotz aller Kolportage-Elemente unbestreitbare poetische Qualität wurde erst später entdeckt. Der deutsche Romantiker Ludwig Tieck ließ sich von Websters Drama zu seinem historischen Roman Vittoria Accorombona (1840) anregen und setzte damit der weiblichen Hauptfigur ein Denkmal als faszinierende, emanzipierte Frau der Renaissance, die an männlichen Polit-Intrigen zugrunde ging. Die ehemalige venezianische Kurtisane Vittoria Corombona wurde tatsächlich 1585 unter dubiosen Umständen in Padua ermordet. Der belesene und historisch kenntnisreiche Webster hat die italienische Spaßgesellschaft zwischen Kirchenfürsten, Herrschaftskabalen und verlotterter Moral genau studiert, um seinen englischen Zeitgenossen nach der glanzvollen elisabethanischen Epoche einen bösen Spiegel vorzuhalten. Mit ihrer wilden Mischung aus Sex and Crime ist die Geschichte nicht sonderlich weit von der heutigen Yellow Press entfernt. Man trägt also Smoking und schickes schwarz-weißes Design von Heute (tolle Kostüme von Michael Sieberock-Serafimowitsch!) beim Morden von Gestern. Verteufelt komisch ist die ganze saubere Gesellschaft in diesem Fegefeuer der Eitelkeiten; deshalb erscheinen die Weißen Teufel hier auch im geschlechtsneutralen Plural.
Die junge Dramatikerin Rebekka Kricheldorf, ausgezeichnet mit dem Kleist-Förderpreis, hat den Text des selten gespielten Werkes für die Inszenierung von Matthias Kaschig (in den Bonner Kammerspielen führte er bereits erfolgreich Regie bei Schillers Kabale und Liebe) neu übersetzt mit witzig modernisierten Metaphern und eleganten Blankversen. Mehrere Figuren - vor allem die brave Mutter des unseligen Geschwistertrios Vittoria, Flamineo und Marcello - sind beherzt gestrichen, was angesichts der Opferzahl verschmerzbar ist. Am Ende fliegen sogar die Gipsköpfe der adeligen Ahnen von ihren Podesten, mit denen Bühnenbildner Martin Kukulies den kahlen schwarzen Raum wie ein Museum der Leidenschaften dekoriert hat. Kaschig nimmt die Figuren in diesem Spiel um Macht und Lust bei aller grotesken Zuspitzung ziemlich ernst und lässt hinter ihren rein strategischen Schachzügen immer noch einen matten Rest von Personen aufscheinen.
Nicole Kersten als Brachianos gedemütigte Ehefrau Isabella bewahrt Haltung, bis sie vom vergifteten Porträt ihres Gatten dahin gerafft wird. Vor dem großen Hochzeitsbild mit Bruder und Hund als Projektion aus fernen kostüm­seligen Zeiten haucht sie hochdramatisch ihr Leben aus. Als schöne junge Vittoria ist sie nicht nur das raffinierte schamlose Luder, sondern weiß in der großen Gerichtsszene auch mit hellem Verstand und geistreichen Flammenworten zu verführen: Das Hürchen hat neben einem Unterleib auch noch ein eigensinniges Köpfchen, gehört nach dem Sieg im erotischen Sprachduell also als „weiße Teufelin“ in die tiefste Hölle oder direkt in den Himmel. Dark Lady Di auf der tödlichen Überholspur zur Seligsprechung.
Dass ihr Liebhaber Brachiano unter tätiger Mithilfe ihres Bruders Flamineo ihren reichlich überflüssigen Gatten Camillo (Alexander Weise) vom hohen Ross ins Jenseits befördert, stört nicht weiter. Flamineo (Yuri Englert) ist damit auch weniger seinem holden Schwes­terlein zu Diensten, sondern verfolgt als treuer Diener Brachianos seine eigenen krummen Wege. Roland Riebeling ist als Brachiano, Herzog von Padua, ein wunderbar weichgespülter Widerling, ein lässiger Lover und ein kühl kalkulierender brachialer Feigling. Dummerweise war Camillo der Neffe des mächtigen Kardinals Monticelso und Isabella die Schwester seines politischen Gegners Francesco di Medici, des Herzogs von Florenz. Was nicht nur die unvermeidliche Rachemaschinerie hoch kocht, sondern neue Machtspielchen in Gang setzt. Vittoria wird aus der klösterlichen Verbannung befreit und hat mit ihrem frisch angetrauten Brachiano einen tollen Auftritt als Glamourpaar. Bis die Falle zuschnappt und Francescos Mannen (um's etwas pittoresker zu machen, lässt Webster den Florentiner als muslimischen Venezianer verkleidet auftreten, die englischen Parallelen sind purer Zufall) ihm mit einem verseuchten Helm und eindrucksvollen Würgesträngen zu Leibe rücken. Vittorias Bruder Marcello (Alexander Weise) gehört zu Francescos Personal, was Flamineo zu einem eher beiläufigen Brudermord aufstachelt. Was auch nichts mehr nützt, weil Brachianos und Isabellas hoffnungsvoller Spross Giovanni (Jeremy Mockridge / Dario Schöb) ihn schnöde feuert. Flamineo fuchtelt noch ein bisschen mit seiner Pistole, bevor die feindlichen Kugeln ihn und seine Schwester herzlos erledigen. Selbst Vittorias schwarze Zofe (Jennifer Mulinde-Schmid) muss dran glauben, obwohl sie doch - selbstverständlich unter Mitnahme von Vittorias Geld - mit dem mörderischen vermeintlichen Mohren einen neuen Anfang wagen wollte.
Der windige Graf Lodovick (Ralf Drexler / Hendrik Richter) macht nach einem Umweg über die Piraterie als Schläferterrorist ganz ordentlich Karriere zwischen Rom und Florenz. Kardinal Monticelso (als brillanter Kopf und blendender Fürstenantreiber: Andreas Maier) zitiert Machiavelli, um den Medici-Feuerkopf (glänzend als geschäftiger junger Francesco: Jonas Gruber) auf die Gewaltschiene zu bringen, die ihm die stählerne Leiter zum Starpapst öffnet. Dass Monticelso nebenbei aus dem Beichtgeheimnis ein Poesiealbum der kunstvollsten Mordlust gebastelt hat (Adressverzeichnis für gute und nützliche Freunde inklusive) gehört zur himmlischen Show. Teuflisch manieristische Ästhetik (Websters Zeitgenosse Caravaggio lässt grüßen) statt nutzloser Ethik. Flamineos Abgang hat jedenfalls hamletmäßige Größe: „Ich lerne grad ein langes Schweigen. (…) Jetzt aber Schluss mit Sterben. Sterben wir!“ Was man nach diesem kurzweiligen Abend für eine richtig gute Idee halten könnte. Für Freunde schwarzen Humors mit höllenscharfem weißem Pfeffer dennoch ein kulinarisches Highlight. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden, keine Pause
Im Programm bis: 2.06.07
Nächste Vorstellung: 28.04.07 -19.30 Uhr

Dienstag, 06.11.2007

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