Freax - kultur 40 - Oktober 2007

Opernverstümmelung - Freax von Moritz Eggert in der Oper

Der lange herzliche Beifall nach der Premiere galt dem Komponisten, den Sängern, dem Chor und dem spielfreudigen Beethoven-Orchester unter der exzellenten musikalischen Leitung von Wolfgang Lischke, die die Uraufführung der Oper Freax zumindest konzertant auf die Bühne gebracht hatten. Dabei hatte eigentlich viel für die Idee gesprochen, das Regie-Enfant-Terrible Christoph Schlingensief mit der Inszenierung zu betrauen. Dass es der Oper Bonn und dem koproduzierenden Beet­hovenfest dabei auch um einen Medien-Hype ging, ist kaum zu bestreiten. Die offiziellen Begründungen für das Scheitern des Projekts blieben fadenscheinig.
Der Komponist Moritz Eggert legte also die Regie in die Hände des Publikums. Und ließ in der Übertitelung nicht nur den dramatischen Text, sondern auch die Szenenanweisungen des Librettos von Hannah Dübgen mitlaufen. Die tollen Kostüme von Aino Laberenz und das zweistöckige Bühnenbild von Thekla von Mülheim (alias Schlingensief) und Tobias Buser vermittelten eine Ahnung von dem szenischen Potenzial, auch wenn die aufwändig in den Zuschauerraum gebauten Stege reichlich nutzlos herumstanden.
Anjara I. Bartz in der Rolle der kleinwüchsigen Lea ließ mit ihrem wunderbar differenzierten Mezzosopran alle Opernverstümmelungen vergessen. Thomas Harper gab mit robustem Tenor den kleinwüchsigen Franz. Die Sopranistin Julia Rutigliano glänzte als schöne große Sängerin Isabella, die Franz hinterhältig den Kopf verdreht und am Ende bei einem mysteriösen Bühnenunfall ihre Beine verliert. Große Sympathie ernteten Hege Gustava Tjörn und Barbara Schmidt-Gaden als unglückliche siamesische Zwillinge. Star der Aufführung war zweifellos Otto Katzameier, der als Hermaphrodit Dominique mit roter Federboa den halsbrecherischen Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme virtuos bewältigte.
Um die Welt der im Showgeschäft ausgestellten menschlichen Abnormitäten geht es in dieser Oper, weniger um tatsächlich Behinderte wie in dem Horrorfilmklassiker Freaks von Tod Browning, der für das Werk Pate stand und Schlingensief zu Kamera-Experimenten inspirierte. Moritz Eggerts Bühnenmusik ist eingängig, zitiert sich intelligent und witzig durch die Musikgeschichte, blickt­ bissig ironisch auf Wagner und Beethoven und ist bei weitem nicht so eklektizistisch harmlos, wie es aus dem Verrisse hagelnden Blätterwald zurück klang.
Von Schlingensief war in der Pause unter dem Titel Fremdverstümmelung 2007 ein verwackelter Schwarz-Weiß-Film mit diversen theoretischen Zitaten, Probenausschnitten und der blasphemischen Kreuzigung eines kleinwüchsigen Freaks zu erleben. Zu sehen war davon im Opernfoyer eher wenig bei der Projektion auf einen Bühnenvorhang, hinter dem er sei­ne ‚Family' aus körperlich und geis­tig Behinderten zum letzten Abendmahl versammelt hatte - statt sie mutig in den Vordergrund zu holen. Es gibt aber eine durchaus sehenswerte kostenlose DVD, die im heimischen Wohnzimmer in ca. 30 Minuten mit harten Schnitten und grotesker Bilderbeschleunigung den Nachvollzug seiner Zweifel an der Oper möglich macht.
Schlingensief zeigte sich auf der Bühne nicht, aber zu später Stunde recht fröhlich bei der Premierenfeier. Kein Wunder: Für das, wofür jeder ‚normale' Künstler eine Konventionalstrafe kassiert hätte, bekam er ein Starhonorar. Höher übrigens als das des Komponisten, der die Möglichkeit der Oper unter Beweis stellte. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3 Std. inkl. Pause
Letzte Vorstellung: 29.09.07

Dienstag, 18.12.2007

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