Krach in Chiozza - kultur 39 - September 2007

Heiteres Sprachspiel um die Eifersucht - Krach in Chiozza von Carlo Goldoni in den Kammerspielen

Carlo Goldoni, vor 300 Jahren in Venedig geboren, schuf aus der Tradition der commedia dell'arte ein neues Theater, das die Typenkomödie mit ihren fixierten Szenarien und spielerischen Kunststücken ablöste zugunsten eines durchformulierten Textes, individueller Charaktere und einer präzisen Dramaturgie. David Mouchtar-Samorai, ein überzeugter Fan des großen italienischen Menschenbe­obachters, hält in seiner Inszenierung von Goldonis Krach in Chiozza die Commedia-Überlieferung stets präsent, lässt mit tänzerischer Leichtigkeit die Figuren kunstvoll übereinanderstolpern und fügt sie zu grotes­ken Gruppenbildern in dem riesigen Wellental, das Heinz Hauser in den Kammerspielen für das adriatische Fischerdorf entworfen hat. Mit seinen steil aufragenden Seitenwänden könnte es auch ein Schiffsrumpf sein - hübsch ins Schlingern gerät die mediterrane Dorfgemeinschaft ohnehin ziemlich schnell, wenn die Wogen der Eifersucht alle durcheinanderwirbeln: „Callamariallacarbonara!“ Die ganze venezianische Speisekarte taugt zu einem unerschöpflichen Fluch-Arsenal; wie könnte man seinem grollenden Herzen auch besser Luft machen als mit einem wütend in den Raum geschleuderten „Zuppadigamberoniconcipolle“.
In Goldonis Dialektkomödie spielt nämlich die aus dem Ruder laufende Sprache selbst eine Hauptrolle: Klatsch und Tratsch, Missverständnisse, wildes Reden und beredtes Schweigen sind der Grund dafür, dass beim Krach in Chiozza die Fetzen fliegen. In seiner sternverdächtigen Textfassung für das Theater Bonn hat der renommierte Übersetzer Frank Günther dafür ein deutsches Chiozottisch ausgekocht, einen nicht lokalisierbaren, farbigen Kunstdialekt, der dem ganzen Ensemble ebenso locker über die Lippen geht wie die vielsagenden Spitznamen, die nicht jeder gern hört. Der nette junge Toffolo z.B., der eigentlich Pantoffolo heißt (was im Übrigen auch die wortspielerische Phantasie beflügelt), aber vom „Nasenbär“ echt die Nase voll hat.
Mouchtar-Samorai zeichnet bei aller Liebe zum skurrilen Detail (schöne 50er-Jahre-Kostüme von Urte Ecker!) keine folkloristische Idylle, sondern mit leichter Hand hinreißend absurde Bilder. Ab und zu geistert eine Riesenfrau mit Sonnenschirmchen und putzigem Männlein als Fellini-Anspielung durch die Szenerie. Drei Musiker (Martin Erdmann, Lothar van Staa, Thomas Wille) mischen sich munter mit witzigen Spaghettiwestern-Zitaten in die verrückten Turbulenzen ein. Dabei hat alles doch so harmlos angefangen: Mit Spitzenklöppeln und munterem Geplauder vertreiben sich die Frauen die Zeit, während die Männer monatelang mit ihren Fischkuttern auf hoher See sind. Donna Libera (als aufgeplusterte Matrone: Tatjana Pasztor) hat ihre beiden jüngeren Schwestern unter ihre mütterlichen Fittiche genommen: Die strenge, bebrillte Orsetta (Bettina Schmidt) ist mit Beppe (Andreas Maier), dem Bruder von Paron Toni, verlobt; die hübsche junge Checca (bezaubernd keck: Maria Munkert) möchte einfach irgendwie unter die Haube - „un wenns wer von die Habenixe wär, wo nix könn' wie nach Regenwürmers fürn Angelhaken pul'n.“ Donna Pasqua (als aufgetakelte Fregatte: Anke Zillich), Gattin des Toni, kümmert sich um ihre entschieden in den Hafen der Ehe strebende junge Schwägerin Lucietta, die Nicole Kersten mit einer gehörigen Portion von frecher Koketterie und selbstbewusster Weiblichkeit spielt. Die Hochzeit mit dem attraktiven jungen Fischer und Mädchen­schwarm Titta Nane (Yorck Dippe) ist fest geplant. Wenn nicht der gutmütige arme Toffolo (liebenswürdig: Arne Lenk) mit seinem Kanalkahn gerade etwas Geld verdient hätte und den Damen stolz was spendieren möchte. Die süße geröstete Kürbisschnitte, die Orsetta und Checca als unmoralisches Angebot verweigern, in die Lucietta jedoch herzhaft hineinbeißt, führt von Weibersticheleien unversehens zu einem Krach, bei dem bald die Steine fliegen, die Messer geschliffen und die Schießeisen geladen werden.
Im Heimathafen der erfolgreich von ihrem Fischzug zurückgekehrten Männer herrscht bald dicke Luft. Der tapfere Bootsbesitzer und sturmerprobte Kapitän Paron Toni (mit ruppigem Seebärencharme: Wolfgang Rüter) und Donna Liberas Angetrauter Paron Fortunato haben alle Hände voll zu tun, um die Familienehre zu verteidigen. Bernd Braun macht dabei Fortunatos kleinen Sprachfehler zu einem grandiosen Sprechkunststück. Wie er mit verschluckten Silben und verdruck­sten Lauten anmutig gegen alle Klippen der Phonetik rennt und würdig jeden Sieg über die Syntax genießt, ist schlicht überwältigend komisch. Der alte Dorfpatron Paron Vicenzo (Wolfgang Jaroschka) vermittelt nach Kräften, was die eifersüchtigen Jungs freilich nicht davon abhält, ihre angeblichen Hörner abzuwetzen. Und die Weiberzungen erst richtig heiß laufen lässt.
Dem von allen Seiten bedrohten Toffolo bleibt also nur noch der Gang vors hohe Gericht. Der gelernte Jurist Goldoni, der selbst kurze Zeit als Gerichtsadjunkt in Chioggia arbeitete, macht aus dem Prozess ein irrwitziges Kabinettstück. Rolf Mautz als dem Rotwein, weiblichen Reizen und den Rändern der Legalität nicht abgeneigter Rechtspfleger Isidoro lässt die Randale nach diversen Umwegen friedlich mit drei Hochzeiten enden. Hendrik Richter sorgt in verschiedenen Rollen fürs amüsante Lokalkolorit und bringt beim priesterlichen Segen sogar die Beine des Kruzifixus zum Tanzen. Günter Alt als melancholischen Clown und listigen Dorfnarren Momolo muss man ebenso gesehen haben wie die scheinbar improvisierte Applausregie nach dieser spektakulären Ensemblearbeit, die hinter dem puren Vergnügen an allzumenschlichen Schwächen die kleinen Abgründe der Seele nicht verschweigt. „Saltimbocaalmarinerostrappazato“ - das muss hier mal in aller Deutlichkeit gesagt werden! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 1/2 Std., eine Pause
Im Programm bis: ???

Dienstag, 18.12.2007

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