Die Glasmenagerie - kultur 49 - September 2008

Fragiles Spiel der Erinnerung - Die Glasmenagerie von Tennessee Williams in den Kammerspielen

„Der eigentliche Schauplatz ist die Erinnerung und daher irreal“, schreibt Tennessee Williams in einer Anmerkung zur ersten Szene seines 1944 in Chicago uraufgeführten Dramas Die Glasmenagerie. Das Vier-Personen-Stück, in dem der Autor viel von seiner eigenen Biografie verarbeitete, wurde sein erster großer Theatererfolg. David Mouchtar-Samorai nimmt in seiner Inszenierung den Untertitel „Ein Spiel der Erinnerung“ ernst und lässt eine fünfte Figur auftreten, die dem Text von Anfang an eingeschrieben ist: Aus der Perspektive des alten Tom, der seine Familie verließ, um Dichter zu werden, wird die Geschichte erzählt. Er ist der Ansager, der die Vergangenheit hervorzaubert, listig mit der Wirklichkeit spielt und als Akteur die Zeitebenen verbindet. Was früher war im Amerika der 30er Jahre, wird in seinem Kopf zu einem ewigen Jetzt, in dem schlaglichtartig Szenen des eigenen Familienlebens emotional und symbolisch aufgeladen herumspuken. Der großartige Ulrich Kuhlmann ist dieser merkwürdige Zauberer, der die „Wahrheit in der freundlichen Maske der Illusion“ aufleuchten lässt. Bis hin zu den dicken Brillengläsern (Williams’ Sehschwäche wuchs mit zunehmendem Alter und Drogenkonsum) verkörpert er den Autor als teilnehmenden Beobachter. Mal sitzt er höhnisch grinsend am Bühnenrand, mal nimmt er mürrisch ständig wiederholte Sätze auf oder vorweg, gibt den unsichtbaren Schatten des jungen Tom und das über allem lastende Gespenst des verschwundenen Vaters, kommentiert mit bösem Witz die Verzweiflungen seiner erinnerten Geschöpfe und kann ihrer Nähe dennoch nicht entkommen. Mit seiner steten Präsenz verschärft er den Blick auf die Lebenslügen, die einer Entlarvung nicht bedürfen.
„Dementsprechend ist das Interieur in gedämpftes Licht und Poesie getaucht“, heißt es bei Williams. Das transparente Bühnenbild von Karl Kneidl (Licht: Thomas Roscher) behauptet keinen realistischen Raum, sondern ist mit mehrfach sich überlagernden Gaze-Elementen und zart verwehenden Schleiern ein poetisches Gefühlslabyrinth. Lauras Glasmenagerie bleibt folgerichtig unsichtbar. Die zerbrechlichen Tierchen ihres gläsernen Traumzoos sind nur noch Fantasiegebilde. Xenia Snagowski spielt facettenreich die leicht gehbehinderte Laura Wingfield, die so gar nicht den Träumen ihrer Mutter Amanda entsprechen will, als durchaus selbstbewusste, wenn auch äußerst verletzliche junge Frau. Ihre ängstliche Nervosität mischt sich mit verständnisvoller Zuneigung zu ihrem Bruder Tom und trotziger Verweigerung gegenüber ihrer Mutter. Der heimlich verehrte Schulkamerad Jim O’Connor ist schon eine in Fotoalben aufgehobene Erinnerung, bevor er tatsächlich im Wohnzimmer der Wingfields auftaucht. Laura wird bei der Begegnung kurz als „blaue Rose“ aufblühen, um nach der Enttäuschung für immer in ihrer trostlos künstlichen Welt zu verschwinden. Ihre Mutter Amanda Wingfield bewahrt eisern Haltung. Mehr ist der ehemals umschwärmten, reichen Südstaatenschönheit nach dem Absturz in die ärmliche Kleinbürgerexistenz am Rand von St. Louis auch nicht geblieben. Ihre Erinnerungen an selige Jugendzeiten mögen freilich auch nur eine Illusion sein. Gabriele Köstler spielt Amandas enthusiastische Oberflächlichkeit ebenso brillant wie ihren unerschütterlichen Egozentrismus. Ihre gluckenhafte Fürsorglichkeit ist Furcht erregend. Wenn sie in Erwartung eines möglichen Heiratskandidaten für ihre Tochter über die Bühne schwirrt und im viel zu jugendlichen Ballkleid (Kostüme: Urte Eicker) allen verblassten Luxus aufbietet, wird sie in ihrer Verblendung geradezu Mitleid erregend.
Arne Lenk ist der junge Tom, der seine Frustrationen im Alkohol ersäuft und im Kino seinen Träumen von einem besseren Leben nachhängt. Ein hochbegabter Schwächling, der am Ende doch den Absprung schafft. Zwischen Wut und verzweifelter Selbstverleugnung wird er zum hellsichtigen Zyniker. Und schließlich, wie Tennessee Williams selbst, zum Dichter, der sein Leiden in Worte fassen kann.
Helge Tramsen verkörpert sensibel den zukunftsorientierten, naiv sympathischen jungen Jim, der fest an den amerikanischen Traum vom selbst geschaffenen Glück glaubt. Die Niederlagen der Vergangenheit sind für ihn nur Ansporn. An seinen flüchtigen Freund Tom und an die schüchterne, lebensuntüchtige Laura, an der er seine gerade erworbenen psychologischen Kenntnisse erprobt hat, wird er sich später vielleicht erinnern. Die schmerzlich zarte Szene, in der Jim Laura einen Moment lang ganz unbeschwert zum Tanzen bringt und dann vollkommen selbstverständlich in seine Welt zurückkehrt, bleibt ohnehin unvergesslich.
Ihre zu Recht mit viel Beifall bedachte Premiere feierte die Koproduktion zwischen dem Theater Bonn und den Ruhrfestspielen bereits am 11. Juni in Recklinghausen. Ab dem 6. September ist sie auch in den Kammerspielen zu erleben. Für das Bonner Schauspiel sicher ein glänzender Start in die neue Saison. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., keine Pause
Bonn-Premiere: 06.09.08
Im Programm bis: ???

Dienstag, 16.12.2008

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