Elektra/Orest - kultur 55 - März 2009

Mörderischer Wahn und kaltes Grauen - Elektra/Orest nach Euripides in den Kammerspielen

Hugo von Hofmannsthal wählte die Elektra des Sophokles als Vorlage für sein Drama, das Richard Strauss in eine gewaltige Tonsprache übertrug. In den Kammerspielen ist die Version des Euripides zu sehen, des jüngs­ten der drei großen attischen Tragödiendichter. Hubert Ortkemper, der bereits Euripides’ Medea neu übersetzte (in der Regie von Klaus Weise in der vergangenen Saison sehr erfolgreich), hat zwei im Abstand von mehreren Jahren entstandene späte Werke von Euripides zu einer in sich schlüssigen Neuinterpretation verdichtet. Elektra/Orest erzählt von Recht und Unrecht, unversöhnlichem Hass und den Mechanismen der Gewalt. Ortkempers Sprache ist rhythmisch präzis, knapp und schnörkellos. Die bei Euripides angelegten psychologischen Motivationen spitzt er zu und verschiebt die Gewichte der Figuren. Die erlösenden Götter tauchen in der klaren, straffen Inszenierung von Christoph Roos nicht mehr auf.
„Dunkle Nacht, in deinem Schutz schreie ich die Totenklage um den Vater ins weite Weltall“, steht auf der Wand, vor der die einsame, verwahrloste Elektra auf alten Teppichen kauert. Dahinter scheint kurz und schemenhaft die Vorgeschichte auf: Als fünfjähriges Mädchen hat Elektra – von ihrer Mutter Klytaimnestra und deren Liebhaber Ägisth unbemerkt – gesehen, wie ihr Vater Agamemnon von den beiden erschlagen wurde und im Bad verblutete. Maria Munkert spielt die Elektra mit ungeheurer Intensität. Sie ist das verstörte traumatisierte Kind und die tapfere Vatertochter, die sich aus dem Ermordeten ein Ideal geschaffen hat. Sie ist die entrechtete Prinzessin, die wütend die Familienehre einklagt. Sie ist die kluge junge Frau, die strategisch denkt und ihren Bruder Orest geschickt für ihre Pläne einsetzt. Sie ist zart und kämpferisch, eine glühende Vertreterin ihrer angestammten Rechte und ein zitterndes Bündel Angst, wenn am Ende die Rechtsstaatsfalle zuschlägt.
Ägisth hat Elektra an einen Tagelöhner (Arne Lenk als braver Underdog, der sich schnell und schlau mit den verstoßenen Königskindern verbündet) verheiratet, damit sie keine satisfaktionsfähigen Söhne gebären kann. Elektras in der Fremde aufgewachsener jüngerer Bruder Orest sieht in Gestalt von Raphael Rubino zwar nicht gerade wie ein strahlender Held aus, taugt aber erst mal vorzüglich als feiste Schlachtmaschine. Angetrieben nicht nur von der deutlich mehr als schwesterlichen Liebe Elektras, sondern auch von seinem Freund Pylades, der bei Euripides kaum was zu sagen hat, bei Ortkemper jedoch die intellektuell treibende Kraft des bösen Spiels wird. Helge Tramsen ist der treue Gefährte, der mit der fluchbeladenen Atridenfamilie eigentlich nichts zu tun hat und dessen eigenwillige Revolte gegen ein unerträgliches System erst im „Orest“-Teil wirklich zum Tragen kommt.
Ägisths in einer Plastiktüte herangeschafften bluttriefenden Kopf berührt Elektra ziemlich angeekelt, bevor sie ihre Mutter listig ans Messer liefert. Tatjana Pasztor als aufgetakelte Klytaimnestra-Diva mit Hochfrisur, Sonnenbrille und perfektem Designer-Outfit (Kostüme: Sigrid Trebing) stöckelt großartig ins tödliche Verderben, bevor sie als schöne Tante Helena noch mal dran glauben muss.
Nach dem Muttermord sieht’s gar nicht gut aus für die unseligen Kinder. Das Volk von Mykene hat die Befreiung von der Tyrannei des unrechtmäßigen Herrscherpaars nämlich nicht als große Tat gefeiert und droht den Tätern mit dem unehrenhaften Tod durch Steinigung. Das fatale, weiß gekachelte Badezimmer (Bühne: Peter Scior) fährt nach vorn und wird zum Gefängnis ihrer Freiheitsfantasien. Orest hat sich den Bademantel von Ägisth übergezogen, liegt halbtot wimmernd bäuchlings in der eigenen Kotze und wacht aus seinen Albträumen erst wieder auf, wenn Onkel Menelaos auftaucht. Bernd Braun mit strähniger schwarzer Langhaarperücke und glänzendem Anzug karikiert diesen Schwächling als nölenden abgehalfterten Popstar, der seinem Neffen buchstäblich auf die starken Arme springt, bevor er ihm eine trojanische Lustsklavin anbietet. Großvater Tyndareus (Wolfgang Jaroschka als würdiger Elder Statesman) gibt zwar zu, dass seine Tochter Klytaimnestra eine Verbrecherin war, hilft mit seiner perfekten politisch-moralischen Rhetorik seinen Enkeln jedoch auch nicht aus der Klemme. Pylades’ rettende Idee, die beim Volk verhasste Helena umzubringen, ihre Tochter Hermione (als naives Modepüppchen: Philine Bührer) als Geisel zu nehmen und den Palast vor Menelaos’ Zugriff in Brand zu setzen, nützt leider nicht mehr viel. Die Gerechtigkeit wollten sie wiederherstellen und die verlorene Ehre der Elterngeneration zurückgewinnen. Mehr als eine persönliche Rebellion im Herbst der griechischen Demokratie gelang dem trotzigen Terrortrio dennoch nicht. Der Rest sieht aus wie die letzten Tage in Stammheim: trostlos. Als Alternative zum „Baader-Meinhof-Komplex“ im Kino unbedingt sehenswert! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1¾ Std., ohne Pause
Nächste Vorstellung: 15.03.09
Im Programm bis: ???

Samstag, 02.01.2010

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 25.04.2024 11:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn