Der Große Krieg - kultur 54 - Februar 2009

Aus der Nahkampfzone - Der Große Krieg von Neil LaBute in der Werkstatt (Uraufführung)

Der amerikanische Autor Neil LaBute ist ein Meister der kleinen Form und des Weglassens. Seine lakonischen Kurzdramen fasst er oft nach antikem Vorbild zu Trilogien zusammen. „Der Zauber des Theaters liegt für mich in seiner profunden Einfachheit“, bekennt er in seinem Essay Warum ich schreibe. Er untersucht die brüchige Oberfläche der Zivilisation, lässt sie wie dünnes Eis zersplittern und reißt die vierte Wand zum Zuschauerraum gerade so weit ein, dass die Distanz zur Bühne noch gewahrt bleibt.
Die junge Regisseurin Jennifer Whigham, die die drei neuen Stücke von LaBute gemeinsam mit dem Bonner Autor Lothar Kittstein auch übersetzt hat, nimmt die Spielangebote der Texte sorgfältig auf, schafft präzise dramatische Verbindungslinien und setzt unaufdringlich psychologische Akzente. Im Vertrauen auf ein exzellentes Darstellertrio – allen voran Birte Schrein, für die LaBute seine drei Einakter geschrieben hat. Bekanntlich nicht zum ersten Mal: Nach der von Presse und Publikum gefeierten deutschsprachigen Erstaufführung von Wie es so läuft 2006 in der Regie von Klaus Weise nahm die Bonner Schauspielerin Kontakt mit dem Autor auf. Die Folge war Helter Skelter, geschrieben für die schwangere Birte Schrein und Anfang 2007 zusammen mit zwei weiteren kurzen Stücken uraufgeführt in der Werkstatt. Jennifer Whigham gab mit Helter Skelter ihr Regiedebüt so überzeugend, dass das Theater Bonn ihr 2008 mit guten Gründen Yasmina Rezas Gott des Gemetzels anvertraute. Ein Glücksfall wie der erneute produktive Austausch zwischen Broadway und Bonn.
Mit der Szenenanweisung „Stille. Dunkelheit“ beginnen und enden die meisten Stücke von LaBute. Es ist die Grundsituation der Bühne, bevor und nachdem etwas passiert ist. Im raffiniert schlichten Bühnenbild von Gesine Kuhn werden die beiden Worte anfangs als Menetekel auf die transparente Stoffbahn projiziert, die wie eine zu Eis erstarrte Welle den kalten, weißen Raum der Furien im Hintergrund abschließt. Den mythischen Rachegöttinnen ist der erste Teil der Trilogie gewidmet. Paula sitzt im Café und wartet. Nervös zieht sie einen Brief aus ihrer Handtasche, überfliegt ihn und steckt ihn wieder weg. Ihr Freund Jimmy, den sie nach einem Streit um eine Aussprache gebeten hat, taucht jedoch nicht allein auf, sondern hat seine Schwester Jamie mitgebracht. Winterlich vermummt mit Kapuzenjacke und robusten Stiefeln zum kurzen Rock (Kostüme: Uta Heiseke), eine struppige Provinzmegäre mit gefährlich lauerndem Blick. Angeblich wegen Stimmbandpolypen nicht sprechfähig. Die Einflüsterungen, mit denen sie Jimmy zum Reden bringt, um die verhasste junge Rivalin Paula Lügen zu strafen, macht Anke Zillich zu einem gestischen und mimischen Kunststück. Ihre Jamie entlarvt gnadenlos, wo Paula sich an Behauptungen klammert. Birte Schrein spielt sie beklemmend genau auf dem schmalen Grat zwischen Todesmut und Lebensangst. Ist das Geständnis ihrer tödlichen Krankheit ein letzter Versuch, den Geliebten freizugeben oder an sich zu binden? Will sie ihm großmütig den Anblick ihres Leidens ersparen oder ihn unter einem reichlich makabren Vorwand loswerden? Yorck Dippe glänzt zum Weinen komisch als hilflos zwischen seiner schwesterlichen Souffleuse und dem Theater seiner Freundin hin und her gerissener Schwächling. Er zieht sich einfach die Mütze über den Kopf, wenn Paula schließlich die Fassung verliert und Jamie ein Glas Wasser ins Gesicht knallt, woraufhin diese triumphierend eine heisere Hass-Arie zwischen Horrorgroteske und archaischem Zorn zelebriert.
Nach dem furiosen Auftakt räumt Anke Zillich – ein witziges Intermezzo mit leicht ironischem Seitenblick auf das eingesparte Bühnenpersonal – eigenhändig die Bühne frei für den Großen Krieg, das Titel gebende zentrale Stück.
Das trennungswillige Ehepaar bezieht Position an den deutlich auf dem Boden markierten Punkten. Nach neun Jahren, die „so ziemlich die Hölle waren“, ist bei der finalen Schlacht Ehrlichkeit angesagt. Verhandelt wird die nicht unerhebliche Beute (gehobener Mittelstand: Ferienhaus, Boot, Lexus, Cayenne etc.) des langen Ehekriegs. Birte Schrein trägt ihr elegantes schwarzes Kleid wie eine Rüstung, bewahrt spöttisch Haltung, setzt strategisch auf die Demoralisierung des Gegners. Yorck Dippe im lässigen hellen Anzug pariert ihre verbalen Tiefschläge mit Anstand, macht Waffenstillstands- und Rückzugsangebote. Metaphorisch wird „The Great War“ herbeizitiert, der Erste Weltkrieg, von dem die USA vergeblich hofften, dass es der letzte sei. Historisch mehr als fahrlässig werden in die privaten Scharmützel auch noch Wannseekonferenz und Potsdamer Abkommen gemixt: Alles ist ferne Vergangenheit; was zählt, ist die brutale Wahrheit der Gegenwart. Oder was man dafür hält.
Wenn es um die beiden Kinder geht, die schließlich auch zur Verhandlungsmasse zählen, spielt die Frau ihren größten Trumpf aus: „Behalt sie.“ Die Kinder seien nur ein Relikt ihres Unglücks, ohnehin nichts Besonderes, und das passende Auto könne er als Zugabe nehmen. Bevor der Mann endgültig kapituliert, kippt die Situation plötzlich um. Die Frau steigt aus der Rolle aus: „Ich mag das nicht, was wir hier sagen…“. Und verkündet als Schauspielerin, dass sie selbst Kinder habe und diese liebe. Während er sie bittet, den Text zu Ende zu spielen, fleht sie das Publikum unter Tränen an, „nach Hause zu gehen und Ihren Kindern zu sagen, dass sie das allergrößte Geschenk sind…“. Schrein und Dippe spielen brillantes Theater auf dem Theater, wechseln virtuos zwischen Schein und Wirklichkeit und sind in ihren geschliffenen Dialoggefechten ein geradezu ideales Paar.
Und natürlich geht niemand, denn es folgt ja noch Was Ernstes: Ein kurzer Monolog wie ein Satyrspiel zu den vorhergehenden Drei- und Zweikämpfen. Eine junge Frau im sommerlichen Outfit schwärmt von ihrem neuen Freund. Ein traumhaftes Licht zeichnet ihre Silhouette auf die Bühnenrückwand. Völlig unbeirrbar – „Es ist was Ernstes“ – behauptet sie ein Glück, dessen erste Schatten bereits erkennbar sind. Birte Schrein spielt das Warten auf den idealen Partner schlicht anrührend als Triumph der Sehnsucht über die Hoffnungslosigkeit. Jedes Wort, jeder Blick und jede Handbewegung signalisieren den Selbstbetrug, allein der Schein trügt nicht. Die Wahrheit ist wieder: „Stille. Dunkelheit“ – also Theater. Vollkommenes Theater, das gleichzeitig schmerzt und glücklich macht.
Ein darstellerisch grandioser Abend, bei dem jede Nuance der Figuren stimmt. Karten für dieses Ereignis sind freilich extrem rar.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca.2 Std., keine Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste Vorstellung: 29.01.09

Samstag, 02.01.2010

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