Der Unvollendenich - kultur 54 - Februar 2009

Geistertanz mit Musik und Hefeteig - Der Unvollendenich von der Gruppe "bodytalk" im Lampenlager

„Was passiert, wenn Tanz und Realität aufeinander treffen?“ fragte sich die neue freie Tanztheatergruppe „bodytalk“, 2008 gegründet von der Tänzerin und Choreographin Yoshiko Waki und dem Musiker Rolf Baumgart. Den Stamm bilden ehemalige Mitglieder von Johann Kresniks Choreographischem Theater, die nach dessen Auflösung ihren Lebensmittelpunkt in Bonn behalten haben. Das Theater Bonn gewährt ihnen sozusagen ‚Asyl’ und stellt ihnen Räume und Technik zur Verfügung. Ihr erstes gemeinsames Projekt ist eine Trilogie unter dem Titel Bonnalitäten, was ein bisschen nach Karneval klingt. Nicht ohne Grund, denn am Rosenmontag 1854 sprang Robert Schumann in Düsseldorf in den Rhein. Nach seinem gescheiterten Selbstmordversuch und der Vollendung seines letzten Werkes, der Geistervariationen, dämmerte er zwei Jahre lang in einer Endenicher Nervenklinik seinem Ende entgegen.
Es geht in dem Stück Der Unvollen­denich oder Warten auf den Tunnel am Ende des Lichts um das komplizierte Dreiecksverhältnis zwischen Robert und Clara Schumann und dem jungen Johannes Brahms, aber ebenso um die Tänzer selbst, die ihr eigenes Schicksal in Schumanns letzten Jahren spiegeln. Zwischen Kühlschrank, Spülbecken, entkernter Nähmaschine und Metallspind (Bühne: Anne Brüssel) kämpfen sie um wechselseitige Zuneigung. Ziv Frenkel (übrigens genau so alt wie Schumann, als er im Juli 1856 starb) tanzt beklemmend intensiv den verzweifelten Künstler, der von Geistern heimgesucht wird, sich vor ihnen im Schrank verkriecht und langsam dem Irrsinn verfällt. Miranda Glikson (Gast von der Tanzcompagnie Gießen) ist die zwischen der Liebe zu ihrem Gatten und dem jungen Brahms hin und her gerissene Clara, die halsbrecherisch Küche und Karriere vereinen möchte. Den Neutöner Brahms verkörpert der Kölner Gitarrist Rouzbeh Asgarin. Eins seiner Instrumente ist sogar dasselbe Modell, das Jimmy Page in der legendären Rockband Led Zeppelin spielte. Das Intro von deren berühmter Ballade Stairway to Heaven hat Baumgart nämlich als Schumann-Zitat identifiziert und seine Komposition daran angelehnt: Rocking Robert auf der Himmelsleiter.
Die exzellente Tänzerin, Schauspielerin und Sängerin Katrin Schyns (derzeit auch in der Operette Pariser Leben zu sehen) gibt mit Witz und Ironie die Moderatorin, die Clara eine psychotherapeutische Familienaufstellung abverlangt. Ein hochkant gekipptes Klavier wird mit Händen und Füßen traktiert, ein Tisch mit der Elektrogitarre angesägt und Hefeteig geknetet und gewalzt. Schumann verweigerte am Ende seines Lebens die Nahrungsaufnahme und verhungerte angesichts voller Brotkörbe.
Die hängen für die abgewickelten Tänzer inzwischen hoch. Bei der Agentur für Arbeit sind sie regelmäßige Gäste. Die Videoeinspielungen ihrer Ausflüge ins mehr oder minder reale Leben sind ein Vergnügen für sich. Wie der Pressesprecher des Bonner Arbeitsamtes mit stoischer Gelassenheit die Leistungen seiner Behörde aufzählt, während die zierliche Yoshiko Waki ihm im weißen Tüllkleid auf die Schulter klettert und ihn fröhlich umtanzt, ist ein schauspielerisches Kabinettstück. Mit einem Walzer im Büro und schließlich einer Heimsuchung des Bonner Schumannhauses wird die Angst selbstironisch unterlaufen.
Mit dem „Unvollendenich“ (gefördert von der Kunststiftung NRW, dem Minis­terpräsidenten des Landes NRW und dem Kulturamt der Stadt Bonn) ist „bodytalk“ erfolgreich gestartet. An der Finanzierung der folgenden Teile der Trilogie (vorläufige Titel „Bonnsai – Pro winzig“ und „Alle Brüder werden Menschen“) arbeitet die Gruppe noch. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 60 Min., keine Pause

Samstag, 02.01.2010

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