Geheime Freunde - kultur 68 - Juli 2010

Lebensangst und Weltvertrauen: Geheime Freunde im Jungen Theater

Um es gleich vorweg zu sagen: Diese ungemein berührende, dennoch völlig unsentimentale, durch psychologische Genauigkeit und feinste darstellerische Nuancen bestechende Inszenierung beweist einmal mehr die Unentbehrlichkeit des JTB. Die große Herausforderung, das Stück Geheime Freunde von Rudolf Herfurtner nach dem vielfach preisgekrönten, 1977 erschienenen Jugendroman Der gelbe Vogel von Myron Levoy mit jungen Darstellern im Alter der Hauptfiguren auf die Bühne zu bringen, hat es ohne Zweifel glänzend bestanden. Die sensible Regie von JTB-Intendant Moritz Seibert fängt die Schwere des Stoffes immer wieder mit lakonischem Sprachwitz und spielerischer Leichtigkeit auf. Den historischen Kontext lässt er kurz aufscheinen in einer Filmeinspielung von der Invasion der Alliierten im Sommer 1944. Alte Fotos von spielenden Kindern in den multikulturellen Armenvierteln von New York haben sein atmosphärisch dichtes Einheitsbühnenbild inspiriert. Bis hin zum – tatsächlich Wasser spritzenden – Hydranten.
Der zwölfjährige Alan, Sohn der jüdischen Emigrantenfamilie Silverman, ist in der US-Metropole aufgewachsen, liebt Baseball und spielt gern mit Modellflugzeugen. In der Schule ist er gut, viele Freunde hat er nicht. Eigentlich nur Shaun, den der freche, starke Hausmeistersohn Condello deshalb als „Judenfreund“ beschimpft. Gemeinsam sind Alan und der „irische Katholikenarsch“ Shaun jedoch unschlagbar, auch wenn sie sich gern mal munter raufen wie alle Jungs ihres Alters. Und dann soll Alan sich plötzlich um Naomi kümmern, die die anderen Kinder nur die „irre Ida“ nennen. Das Mädchen ist traumatisiert, spricht mit niemandem und zerreißt manisch Papier. Mit acht Jahren musste Naomi hilflos miterleben, wie ihr Vater, ein jüdischer Widerstandskämpfer, in Paris von der Gestapo erschlagen wurde. Vier Jahre ist das her, Naomi und ihrer Mutter ist endlich die Flucht nach New York gelungen, wo sie Unterschlupf gefunden haben in der Wohnung von Mrs. Liebman.
Das Ereignis in dieser schwierigen Geschichte sind die jungen Darsteller. Allen voran Jannik Beckonert (alternierend mit Carlo Hajek) als Alan. Wie er sich der verstörten Naomi nähert und dabei ganz spontan zu den Mitteln des Theaters greift, ist ein kleines Wunder an Einfühlsamkeit. Wie er seine Bauchrednerpuppe Charly statt seiner selbst sprechen lässt, dabei die Stimme wechselt und jede Reaktion des Mädchens spielerisch aufnimmt, geduldig, manchmal verzweifelt, immer konzentriert vorsichtig – das könnte kein Profischauspieler besser machen. Ein gelernter Psychiater auch nicht. Alan bleibt dabei ein ganz normaler Junge, der jedoch genau begreift, welch unerhörte Verantwortung ihm zugefallen ist.
Eindrucksvoll verkörpert Gilda Masala (alternierend mit Marie Bendig) die seelisch kranke Naomi mit den typischen Bewegungen eines autistischen Kindes. Ängstlich versteckt sie den Kopf hinter ihrer Puppe Yvette, mit der sie schließlich Kontakt aufnimmt zu dem lustigen Charly. Es ist ein langer, szenisch stets auf Hochspannung gehaltener Prozess, bis Naomi endlich zu sich selbst zurückfindet und wieder ein hübsches, intelligentes Mädchen wird. Weil sie Alan vertraut und dieser ihr damit ein Stück Weltvertrauen geschenkt hat. „Geheime Freunde“ sind die beiden geworden, wenn sie schließlich Alans gelbes Spielzeug-Flugzeug durch die Luft kreisen lassen wie eine große Hoffnung auf ein normales Leben.
Geheim gehalten hat Alan seine neue Freundschaft allerdings vor Shaun (Till Rönitz / Victor Pasztor), dem die Inszenierung eine größere Rolle einräumt als Herfurtners Stück und damit ein Gegengewicht schafft zu der quasi therapeutischen und dennoch echten Freundschaft zwischen Alan und Naomi. Shaun ist zutiefst enttäuscht, dass sein bester Freund ihn nicht ins Vertrauen gezogen hat. In der Not wird er trotzdem ein verlässlicher Freund bleiben. Denn Condello (Simon Linz / Leon ­Döhner) schlägt zu, wenn Alan die für ihren ersten Schulbesuch in Amerika auf französische Art etwas zu fein herausgeputzte Naomi (schöne Kostüme von Ausstattungsleiterin Brigitte Winter) begleitet.
Aus dem Erwachsenen-Ensemble liefern ­Andrea Brunetti und Jan Herrmann als Alans verständnisvolle Eltern präzis ausgefeilte Charakterstudien. Als fürsorgliche, nicht immer alles begreifende Mrs. Liebman agiert ­Giselheid Hoensch.
Auch wenn Naomi am Ende in ihre Schre­ckensstarre zurückfällt – Alans Mühen waren nicht umsonst. Seinen Turnschuh gibt er ihr mit in die Klinik, damit sie immer weiß, dass es einen Freund gibt. Dem man vertrauen kann. Unvergesslich!
Für Zuschauer ab 12 Jahren. Absolut sehenswert auch für Erwachsene! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., eine Pause
Im Programm bis: ????
Nächste Vorstellungen: 27./28.05.

Dienstag, 15.02.2011

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