Passe-Partout / Gods and Dogs / Minus 16 - kultur 67 - Juni 2010

Schönheit und Illusion: Nederlands Dans Theater II in der Oper

Eine schwarz gewandete Frau geistert als strenge Göttin, herrische Mutter oder femme fatale durch ein surreales Universum. Eine keusch-sinnliche Kunstfigur, der die fünf anderen merkwürdig verfallen zu sein scheinen. Eine rätselhafte Leidenschaft treibt sie zu Paar- und Trioformationen. Mit Passe-Partout von den NDT-Haus-Choreographen Paul Lightfoot und Sol León begann das Gastspiel des fabelhaft guten Nachwuchs­ensembles des Nederlands Dans Theaters. Die jungen Künstler (für die vor mehr als dreißig Jahren gegründete Truppe bewerben kann man sich im Alter von 17 bis 21 Jahren) gehören zur internationalen Ballett-Elite und bewiesen ihre Vielseitigkeit eindrucksvoll bei diesem dramaturgisch spannend aufgebauten dreiteiligen Abend. Passe-Partout ist eine irritierende Passion zwischen düsteren Palastportalen, die sich geheimnisvoll verschieben und wie Passepartouts von alten Fotos Bilder rahmen, in denen ständig etwas aus dem Rahmen läuft. Auf dem poetischen Klangteppich von Philip Glass wird daraus eine hoch emotionale, bildmächtige Erzählung von Dominanz und Abhängigkeit, hinreißend beseelt getanzt als ewiges Rätsel.
Die Differenz zwischen Normalität und Verrückt­heit lotet Ji?i Kylián aus in seinem sensiblen Stück Gods and Dogs, der 100. Arbeit des weltberühmten Choreographen für das seit 50 Jahren bestehende NDT. Über das schlichte sprachliche Anagramm hinaus dekliniert dieses Meisterwerk die Widersprüche der menschlichen Existenz musikalisch atemberaubend genau zu den ersten beiden Sätzen von Beethovens Streichquartett Opus 18/1. Jede Stimme des energischen Allegros hat ihre tänzerische Entsprechung, jedes Motiv im emotional tiefgründigen Adagio wird zu einer dramatischen Bewegung auf der Bühne. Die fragile Harmonie löst sich auf in den dumpfen Schlägen, die der Komponist Dirk Haubrich zusammen mit dem hinterhältigen Allegro molto des 5. Satzes von Bartóks Streichquartett Nr. 4 in die Tonspur für die acht Tänzerinnen und Tänzer gemixt hat. In fast klassischen Soli, Pas de Deux oder Trois und Ensemble-Passagen zitieren sie das schwerelose Glück und die Schatten ihrer Figuren herbei. Vor dem schimmernden Vorhang aus schwankenden Seilen wird plötzlich ein Körperteil fremd. Eine Hand flattert, während ein Fuß auf der Spitze zur Pirouette ansetzt. Und im schwarzen Hintergrund lauert leise ein weißer Wolf als Zeichen für das Ani­malische im Menschen.
Die 35 Minuten von Minus 16 sind dagegen eine heitere Hommage an die Bewegungslust. Zur Collage aus populärer Tanzmusik von Mambo bis Cha Cha Cha sprühend vor Witz und Lebensfreude, in die sich dennoch ein Hauch von Melancholie mischt. Die „Illusion von Schönheit“ wird spielerisch untersucht. Jeder der einheitlich in schwarzen Anzügen marschierenden Truppe schert mal aus der Reihe aus, gibt in Worten und Bewegungen ganz individuell etwas von sich preis und wird wieder Teil eines präzis funktionierenden Corps. Sie springen auf Kommando virtuos von den im Halbrund aufgestellten Stühlen, nur einer landet immer bäuchlings auf dem Boden. Ein eigenwilliger Störer oder ein Verstörter?
Eine abendfüllende Variante der temperamentvollen Revue des israelischen Choreographen Ohad Naharin präsentierten in Bonn kürzlich schon die Grands Ballets Canadiens unter dem Titel Minus One. Auch diesmal konnte das Publikum Dean Martins Aufforderung „When marimba rhythms start to play dance with me…“ nicht widerstehen und ließ sich von den fünfzehn jungen Tanzprofis zum gemeinsamen Schwoof auf die Bühne bitten. Eine vergnügliche Nummer aus dem geistreich humorvollen Stück, das seit 1999 zu den Repertoire-Hits des NDT gehört. Ein zarter Hauch von Vergänglichkeits-Ahnung weht freilich auch durch dieses vor ausgelassener Lebensfreude strotzende Werk.
Das Bonner Publikum bejubelte zu Recht die mitreißende jugendliche Vitalität und tänzerische Brillanz des NDT II (das NDT III aus älteren Tänzerpersönlichkeiten fiel leider dem auch in den Niederlanden herrschenden Spar-Rotstift zum Opfer) und sparte nach dem beschwingten Finale Somewhere over the rainbow nicht mit Ovationen. E.E.-K.

Mittwoch, 09.02.2011

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