Katja Kabanova - kultur 67 - Juni 2010

Einsame Sehnsucht: Katja Kabanova in der Oper

Um es gleich vorweg zu sagen: Diese Aufführung ist ein Ereignis, das die Qualität der Bonner Oper aufs Schönste beweist und von der Kritik beinahe hymnisch gefeiert wurde. Einen großen Anteil daran hat der musikalische Leiter Will Humburg. Mit dem ungemein inspiriert spielenden Beethoven-Orches­ter lotet er die psychologischen Feinheiten der Musik präzise aus. Er lässt sie strömen, brausen und glitzern wie die ständig präsente Wolga. Der Fluss und die Natur reden geradezu in Leoš Janá?eks Musikdrama, zu dem er selbst das Libretto nach einem Drama des russischen Dichters Alexander ­Ostrowski verfasst hat. Kaum ein Komponist hat sich so intensiv mit dem Klang der Sprache befasst wie Janá?ek. Jede Silbe hat bei ihm ihren eigenen Ton, jeder Satz seine eigene Melodie und wird durch die Instrumentierung im Orchestergraben emotional aufgeladen. Die Musik ist also in hohem Maß mit der Originalsprache verbunden, weshalb das Theater Bonn eigens die tschechische Sängerin Eva Randová als Sprach-Coach engagierte, die zudem gern ihre Erfahrungen als einst weltberühmte Janá?ek-Interpretin an das Bonner Ensemble weitergab. Dass alle sängerisch höchst anspruchsvollen Rollen aus dem Haus-Ensemble besetzt werden konnten, spricht für die Exzellenz der Bonner Oper.
Zutiefst ergreifend verkörpert die Sopranistin Irina Oknina die Titelrolle der jungen, sensiblen Katja Kabanova. Sie hat einfach alles dafür: die Zartheit der Erscheinung, die Beseeltheit der hell leuchtenden Stimme, die emotionale Ausdruckskraft der einsam Verzweifelnden. Am Anfang steht sie im eleganten weißen Kostüm zwischen den hohen Mauern aus Holzpaletten – eine Fremde in dieser bedrohlich engen, gleichzeitig zudringlichen und abweisenden Umgebung. Dann beißt sie beherzt in einen Apfel.
Mit dem Obsthandel verdient die neureiche Familie Kabanov offenbar ihr Geld in der perfekt durchdachten Inszenierung von Balázs Kovalik, Regie-Shootingstar der internationalen Musiktheaterszene und Direktor der ungarischen Nationaloper Budapest. Seine sorgfältige Personenführung überzeugt in jedem Detail, auch wenn die bekannte Apfelsymbolik (Baum der Erkenntnis, Entdeckung der Sexualität, Vertreibung aus dem Paradies) ein wenig überstrapaziert wird. Da prasseln gegen Ende die Früchte brutal aus dem Schnürboden, während die Ehebrecherin wider Willen vom Sortier-Fließband in die kalten Wolgafluten gekippt wird und elend ertrinkt. Katja will und muss sterben, weil ihrer Einsamkeit auf Erden nicht zu helfen ist. Sie wird begehrt, aber nicht geliebt. Sie ist schutzlos als Subjekt ihrer romantischen Sehnsucht nach dem verlorenen Kindheitsparadies und ihrem leidenschaftlichen Traum vom Glück in den Armen eines Mannes, der sie stärker halten könnte als ihr mutterfixierter Gatte Tichon. Sie ist noch schutzloser als Objekt ihrer eigenen moralischen Prinzipien und der lieblosen Welt, die sie fallen lässt wie einen faulen Apfel.
Das Einheitsbühnenbild von Csaba Antal ist dabei ein Handlungsträger, nicht nur weil die Arbeiter des Kabanov-Unternehmens und die Liebespaare auf der Stellagen-Konstruktion halsbrecherisch herumklettern. Die Wände sind mal beängstigend kompakt, mal im Licht von Max Karbe filigran transparent. Über dem Wasserspiegel auf dem Bühnenboden (weshalb die Darsteller zu den farbig fein abgestuften Kostümen von Angelika Höckner zumeist grobe Gummistiefel tragen) erhebt sich die gläserne Kommandozentrale der Kabanicha, Katjas Schwiegermutter. Daniela Denschlag, die vor kurzem bei den Salzburger Osterfestspielen ihr Debüt gab, ist mit ihrem beweglichen Mezzosopran keine verknöcherte bigotte Alte, sondern eine selbstbewusste Businessfrau in den besten Jahren. Die Kabanicha muss ihren Sohn Tichon, dem Mark Rosenthal seinen facettenreichen Tenor leiht, zurichten als ihren Nachfolger im Firmenmanagement. Rosen­thals Tichon ist kein labiles Muttersöhnchen, sondern ein gestandener Mann, der die Demütigungen seiner Chefin umso schmerzlicher wahrnimmt. Auch er ist ein Wehrloser, der mit den Gefühlen einer Frau wie Katja einfach nicht zurechtkommt. Zumal eine gesellschaftlich deutlich höher sozialisierte, feinsinnige Schönheit weder in sein bodenständiges Weltbild noch in die Strategie seiner Mutter passt. Die Konkurrenz der beiden Frauen um Tichons Zuwendung bliebt hier eher ein Nebenaspekt. Die Kabanicha will die Macht und verbindet schamlos beim Rendezvous mit dem in jeder Hinsicht potenten Dikoj (als trinkfester Macho-Trottel mit üppigem Bass: Ramaz Chikviladze) das Nützliche mit dem Angenehmen.
Susanne Blattert als Ziehtochter Varvara im Hause Kabanov hat längst die Nase voll von der geschäftstüchtigen Verlogenheit und schlängelt sich in kessen Outfits aus dem dumpfen Familiengefängnis. Der attraktive junge Dorflehrer Kudriáš (als intellektueller Zyniker mit lässigem Boyfriend-Charme: der Tenor Tansel Akzeybek) ist für sie eher ein Ausweg als eine Herzensangelegenheit. Dass die schöne Katja ein Auge auf Dikojs Neffen Boris (stimmlich verführerisch strahlend: George Oniani) geworfen hat, weckt ihren schwesterlichen Instinkt. Ganz abgesehen davon, dass Boris auch nur ein mieser kleiner Dorflümmel ist, der mit Kudriaš Zigaretten paffend jedem Rock hinterher schielt und Katjas tiefe Gefühle nie begreifen wird – sie erlebt mit ihm eine kurze Erfüllung ihrer erotischen Sehnsucht und fällt umso tiefer zurück in die grausame Wirklichkeit. Das Gewitter, das sie zum Geständnis ihres Ehebruchs bringt, ist zwar nur eine ganz normale Naturerscheinung, für sie jedoch ein von Gott gesandtes Zeichen. Weil sie genau empfindet, was die anderen nur ahnen: Ihr grundehrlicher Betrug aus sinnlicher Frustration entlarvt die Lügen all derer, die sie so einsam und verstört gemacht haben.
In eindrucksvoll gestalteten Nebenrollen glänzen der Bariton Giorgos Kanaris (Kuligin), Katrin Leidig und Erika Detmer als nicht nur brave Mädchen für alles Gliša und Ferkluša. Als betörende Stimme der Wolga agiert im Hintergrund der Chor unter der Leitung von Sibylle Wagner, der nur am Ende der tragischen Geschichte kurz auf der Bühne auftaucht. Ungerührt verteilt die Kabanicha Geldscheine an die Leute, die Katjas Leiche aus den Fluten geborgen haben.
Irina Oknina ist eine unvergessliche Katja Ka­banova; die Inszenierung ist stringent ohne alle Regietheater-Mätzchen; die Musik hört man selten so leidenschaftlich und transparent. Folglich ein „Muss“ für alle Operngenießer und – weil die Produktion in der nächsten Saison wieder aufgenommen wird – ein guter Grund für ein Abo bei der TG Bonn. E.-E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¼ Std., eine Pause
Im Programm bis: 25.06.10
Nächste Vorstellungen: 5.06./13.06./19.06./25.06. und wieder ab 9.10.

Mittwoch, 09.02.2011

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