The Black Rider - kultur 92 - Januar 2013

The Black Rider von Waits, Wilson, Burroughs in den Kammerspielen: Teuflisches Junkie-Drama

Genau am 63. Geburtstag des Musikers Tom Waits betrat wieder der teuflische Stelzfuß die Kammerspielbühne. 1995/96 war das 1990 in Hamburg uraufgeführte Musical The Black Rider von Robert Wilson, William S. Burroughs und Tom Waits schon einmal hier zu erleben und wurde einer der größten Erfolge der Saison. Das könnte auch der neuen Inszenierung von Matthias Kaschig passieren, die die alte „Freischütz“-Geschichte energisch mit viel Fantasie und Bewegung neu interpretiert. Die Choreographie von Valenti Rocamora i Torà verlangt dem Ensemble eine Menge ab. Sie meistern die tänzerischen Herausforderungen glänzend, und singen können sie so verdammt gut, dass man der Aufforderung des Titelsongs „Come along with the Black Rider / We’ll have a gay old time“ nur allzu gern nachkommt. Wobei „gay“ durchaus seinen Doppelsinn hat bei den aberwitzigen Geschlechtsrollen-Wechseln und Albtraumbildern. Der Autor Burroughs war ein bekennender Drogenkonsument und Waffennarr und erschoss im Rausch bei einem verrückten Wilhelm-Tell-Spiel seine Frau. Äpfel legt sich auch die unter der Leitung von Michael Barfuß perfekt aufspielende Band „The Magic Bullets“ in einer Szene auf den Kopf und wird abgeknallt von den Kugeln, die nie ihr Ziel verfehlen. Eine riesige Zielscheibe erscheint gelegentlich im Hintergrund der Bühne, die Stefan Mayer hübsch mit Blümchentapete und Schatten von Waldtieren ausgestattet hat. Ein ganzes Rudel blutiger Hirsche liegt später herum, wenn der Schreiber Wilhelm seinen Schwiegervater in spe von seiner Treffsicherheit überzeugt hat. „Feder weg und Flinte her – leicht gesagt, und ist doch schwer“, singt er traurig. Arne Lenk verkörpert den armen Federfuchser, der zum Schießeisen greifen muss, um die Förstertochter Käthchen zu erobern. Oder zu Drogen, denn was der geheimnisvolle Stelzfuß ihm als Freikugeln anbietet, macht süchtig. Hendrik Richter lässt die silbernen Dinger sogar auf seiner Zunge tanzen, wenn er Wilhelm in seinem teuflischen Netz aus Verführung und Gemeinheit zappeln lässt. Richter ist der Showmaster des Rausch-Spektakels, ungemein leichtfüßig, unverschämt elegant und mit einer Stimme gesegnet, die den rauchigen Ton von Tom Waits‘ Organ nicht nachzuahmen braucht, um die Abgründe seiner Figur auszuloten. Sein satanischer Stelzfuß ist ein Spieler, der die Menschen abhängig macht und sie willenlos seiner Macht gehorchen lässt. Kein Wunder, dass der verzweifelte Wilhelm auf seinen Big Deal eingeht. Seine Seele verkauft er ihm für den Stoff, der ihn selig machen soll. Leider wird er dadurch selbst zum Gejagten und der Geliebten immer fremder.
Käthchens Herz gehört ihm längst, nur ihre Hand und die damit verbundene Försterei verlangen den traditionellen Probeschuss. Wunderbar eindringlich singt Anastasia Gubareva von der Angst der jungen Braut und ihren schlimmen Vorahnungen. Stimmlich großartig präsentiert sich auch Nina Tomczak als ihre liebevolle Mutter Anne. Deren schwergewichtiger Gatte Bertram (Günter Alt) bevorzugt zwar den Jäger Robert als Nachfolger, aber gegen die Liebe des eigensinnigen Käthchens ist kein Kraut gewachsen. Konstantin Lindhorst gibt neben einigen anderen Rollen den tapferen Konkurrenten des braven Wilhelm und hat einen eindrucksvollen Auftritt als Georg Schmidt, dem historischen Vorbild der Freischütz-Legende. Wolfgang Rüter glänzt als strenger Herzog im langen schwarzen Mantel (Kostüme: Nina Kroschinske), Grégoire Gros gibt den gespenstischen Erbförster Kuno.
Musikalisch ist das ganze Ensemble eine Wucht und agiert zwei pausenlose Stunden lang wie unter explosivem Hochdruck. Zu Herzen gehen immer noch die düstere „November“-Ballade und der melancholische Song „The briar and the rose“. So richtig heiß wird’s, wenn Stelzfuß seine „Right Bullets“ anpreist: „And the first one‘s always free“. Die letzte lenkt der Teufel persönlich. Anders als die romantische „Freischütz“-Oper endet The Black Rider bekanntlich tödlich.
Der bizarre Trip im „Gospel Train“ mit seinen surrealen Bildern und Anspielungen auf Drogen-Halluzinationen ist auch ein Junkie-Drama. Mit der üblichen Musical-Konfektion hat dieses Stück der ehemaligen Avantgarde nichts zu tun. Kaschigs grelle Revue setzt sich klug von den längst zur Legende gewordenen Vorbildern ab. Dis Show stiehlt allen freilich der fabelhafte Stelzfuß von Hendrik Richter. „Take off your skin / and dance around in your bones“, singt der „Black Rider“. Ein Totentanz im Knochenkleid, aber voll irrer Lebendigkeit.
Begeisterter Beifall für das tolle Ensemble und die Band, die am Ende sogar in hautengen Glitzeranzügen auf die Bühne kommt. E.E.-K.

Spieldauer ca. 2 Stunden, keine Pause
Die nächsten Termine:
31.12. (16 + 20 Uhr) / 13.01. / 19.01. / 02.02. / 15.02. /
24.02. (16 Uhr) / 27.02. / 03.03.13

Donnerstag, 28.02.2013

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