Angst - kultur 85 - April 2012

Angst von Stefan Zweig im Euro Theater Central – Verstörte Behaglichkeit

Ein heimlicher Seitensprung aus ihrer wunsch- und widerstandslosen, „windstillen“ Existenz treibt Frau Irene zur Verzweiflung. Eine „Wohltemperiertheit des Glückes, die aufreizender ist als das Unglück“ hat die junge Gattin eines begüterten, erfolgreichen Juristen und Mutter zweier perfekt geratener Kinder in die Arme eines aufstrebenden Pianis­ten getrieben. Keine große Leidenschaft also, eher der erotische Reiz, selbst begehrt zu werden. Doch die ehemalige Geliebte des Künstlers, eine „niedere Person“, hat Frau Irenes heimliche Verfehlung entdeckt und nutzt ihr Wissen für immer höhere Geldforderungen. Ohnmächtige Angst vor der Entdeckung ihres Fehltritts schüttelt die Schuldige, die sich zwischen Scham, sinnlichem Rausch und Albträumen in eine irrsinnige Furcht vor dem Verlust ihrer behaglichen Sicherheit hineinsteigert.
Es ist angerichtet am langen Esstisch zwischen den Zuschauerreihen (Ausstattung: Anne Brüssel) im Euro Theater Central. Zwischen Suppe und Dessert verliert Irene den Boden unter den Füßen in Stefan Hermanns Inszenierung von Stefan Zweigs 1920 erschienener Novelle Angst. Der Regisseur, der am Euro Theater bereits sehr erfolgreich Kafkas Verwandlung auf die Bühne brachte, bewahrt in seiner Textfassung exakt den nervös eleganten Erzählstil des poetischen Seelen­erforschers. Zweigs von diskreter Ironie geprägtes Idiom, mit dem er eine selbstzufriedene bürgerliche Gesellschaft beschrieb, die längst an der Wirklichkeit vorbeilebte, klingt hier erstaunlich zeitlos. Das liegt vor allem an der famosen Schauspielerin Nadja Soukup, die die verwirrte Irene verkörpert, aber gleichzeitig die Position des analytischen Beobachters einnimmt, der ihre psychischen Verstrickungen kommentiert.
Völlig verkrampft sitzt die Frau im braven Pepita-Kleidchen da und löffelt mit dem Ehemann am anderen Ende des Tisches Tomatensuppe, bevor sie ihre Stöckelschuhe auszieht und schließlich hinüber kriecht zu dem verständnisvollen Gatten. Mark Zak spielt mit feiner Zurückhaltung die dramatisch undankbare Rolle des Stichwortgebers für die weibliche Verstörung. Als versierter Anwalt hat er Irene die einfache Lösung quasi auf dem Silbertablett serviert, als Töchterchen Helene neidisch das Spielzeug ihres Bruders zerstörte: Grausam sind nur die zwanghafte Verdeckung der Schuld und die Angst vor dem Geständnis. Die gerechte Strafe ist eine Erleichterung für den Angeklagten und ermöglicht ihm die Versöhnung mit sich selbst.
Irene wird das Tischtuch mit herzblutrotem Wein tränken und zum tödlichen Morphiumfläschchen greifen, bevor ihr versetzter teurer Verlobungsring wieder zurückkehrt. Denn ihr Mann selbst hat Regie geführt und die Erpresserin redlich bezahlt. Er hat Irene zu ihrem Glück buchstäblich über den Tisch gezogen. Ein Triumph des Patriarchats über die ungerichtete Sehnsucht einer Frau, die im weichen Ehebett noch ein bisschen leises Weh spüren und ansonsten furchtbar zufrieden als verwöhnte Hausfrau und Mutter ihre „breitbürgerliche“ Glückseligkeit genießen wird. Beste Aussichten also, wenn nicht diese schmerzhaften Narben auf der Seele wären. E.E.-K.
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Spieldauer ca. 70 Minuten, keine Pause.
Die nächsten Termine: 21.04. / 22.04.

Donnerstag, 11.10.2012

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