Der Wind macht das Fähnchen - kultur 84 - März 2012

Der Wind macht das Fähnchen von Philipp Löhle in der Werkstatt
Familienbilanz – leicht verweht

Alle mal lächeln, Papa macht Fotos: „Die Familie, mein ganzer Stolz!“ Das war irgendwann im 20.Jahrhundert. Papa Holger hatte einen Dienstwagen, Mama Petra Wohnzimmergarnitur, Kühlschrank, Waschmaschine. Tochter Sibylle war fünf, Sohn Tim drei. Die Welt war so in Ordnung wie auf der Pazifikinsel Nauru, der tatsächlich existierenden drittkleinsten Republik der Erde mit ca.10.000 Einwohnern und zeitweise dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Übergewicht gilt dort als männliches Statussymbol. Zu den Landerechten der staatseigenen Fluggesellschaft und dem taiwanesischen Rettungsschirm für die Staatsfinanzen befragt man am besten Wikipedia.
Womit das Problem schon anfängt mit dem, was der kleine König Holger notorisch „Internetz“ nannte. Als Familienoberhaupt fühlte er sich wie der Regierungschef von Nauru, bis er im Großraumbüro per Head-Set am Computer arbeiten sollte statt im direkten Kundenkontakt. Rolf Mautz spielt diesen seiner Herrschaft beraubten Patriarchen, der sich von ganz unten wieder hocharbeitet, einfach hinreißend. Er ist dieser verzweifelt an der Arbeit klebende Narr, dessen Reich längst verteilt ist an die nächste Generation der Ausgebeuteten, die in prekären Jobs auf die große Chance warten. Tatjana Pasztor als Mutter hat nach der Trennung von ihrem arbeitslosen Mann zugegriffen auf die Medienwelt und kann den Kindern mehr bieten. Haus mit Schwimmbad gegen Skateboard und Ferien in Balkonesien. Birger Frehse als Tim hat sich im väterlichen Keller abgekapselt in einem Außenseiterheldentraum. Philine Bührer als Sibylle schafft den großen Sprung. Für das vom Bundespräsidenten als weibliche Zukunftsoption geforderte Studium der Umwelttechnologie hat sie gepaukt. Die besserverdienende Gesellschaft will aber handgenähte Hosen, weshalb sie in die Modebrache emigriert und so viel Geld verdient, dass die verarmten Eltern zu Räubern werden. Das aufrechte Fähnlein der durch die Zeitläufte gebeutelten Familie dreht sich halt nach dem Krisenwind.
Die schlichte Ausstattung von Anna Behrend lässt viel Fantasie-Spielraum in der leichtfüßigen Inszenierung von Dominic Friedel, der das Auftragswerk Der Wind macht das Fähnchen des derzeit auf dem Dramenautorenmarkt hoch gehandelten Philipp Löhle sicher durch die wunderlichen Krisen-Zeitsprünge eines quasi automatischen Familienzerfalls führt. Wirklich perfekt ist das Schauspielerquartett, das alle Untiefen des Textes souverän umschifft und eine präzise Punktlandung schafft auf der Familieninsel, die notfalls kriminell ihre ökonomische Substanzillusion behauptet. Notwendig ist dieses Familienbanden-Stück kaum, hübsch bedenkenswert garantiert und so intensiv gespielt, dass man’s als pures Theater genießen kann. E.E.-K.

******
Spieldauer ca. 100 Minuten, keine Pause.
Die nächsten Termine: 2.03.12 // 29.03.12 // 4.04.12 // 19.04.12

Dienstag, 09.10.2012

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 20.04.2024 13:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn