Kasimir und Karoline - kultur 90 - November 2012

Kasimir und Karoline von Ödön von Horvath in der Halle Beuel: Vom Ende der Liebe in der Wirtschaftskrise

Das biblische „und die Liebe höret nimmer auf“ hat Ödön von Horváth seinem 1932 uraufgeführten Volksstück als Motto vorangestellt. Hier steht es als Endlossatz auf dem Rand einer großen Drehscheibe, auf der die Akteure sich anfangs wie Spieluhrpuppen präsentieren. Ständig dreht sich etwas in dem raumgreifenden Bühnenbild von Julia Ries. Absturzgefährdet sind alle, die sich amüsieren wollen auf dem Münchner Oktoberfest, wo Gemütlichkeit angesagt ist zwischen Achterbahn und Rutschbahn. Ab und zu hüpfen einige sogar in ein tiefes Trampolin-Loch im Vordergrund und federn wieder empor wie Stehauf-Figuren.
Ungemütlich sind freilich die über hundert kleinen Szenen, die Horváth aneinanderreiht in Kasimir und Karoline. Die Liebe hört schnell auf, wenn’s keine Arbeit mehr gibt und das Geld ausgeht. „Eine Ballade voll stiller Trauer, gemildert durch Humor“, hat der Dichter sein Drama genannt. Genau so hat Michael Lippold es in der Halle Beuel inszeniert. Er hebt die Einsamkeit der Figuren im Jahrmarktstaumel hervor, konzentriert sich auf die Dialoge, die er oft weit nach vorne an die Rampe holt und in ihrer monologischen Substanz beleuchtet, während im Hintergrund das Getriebe innehält.
Hoch hinaus will die hübsche Karoline, die zuvor vermutet hat, dass sie und ihr Bräutigam Kasimir „zu schwer“ füreinander sein könnten. Maria Munkert spielt wunderbar klar die selbstbewusste, berufstätige junge Frau, die vom Leben etwas haben will. Und zwar mehr als ein Eis vom Näschereienstand und ein paar mehr oder weniger wohlwollend spendierte teure Karussellfahrten. Sie weiß, dass nichts umsonst ist und träumt sehnsüchtig vom seligen Fliegen, bis sie mit gebrochenen Flügeln begreift, dass das Leben weitergeht, „als wär man nie dabei gewesen“. Der (Freud-symbolische) Zeppelin, der 1928 tatsächlich als Attraktion über die Münchner Festwiese schwebte, ist hier pures Blendwerk wie die Sensationen, die der Ausrufer ankündigt: „Krüppel sind verführerisch“. Der Musiker Andreas Bittl mit Akkordeon und diversen Klangwerkzeugen ist der schillernde Show-Master, der Horváths Szenenanweisungen ebenso unverschämt herbeizitiert wie die nackte Kehrseite der ­Illusionen.
Abgebaut wurde der Kraftfahrer Kasimir, der feine Leute in Kabrioletts chauffierte, bevor die Massenarbeitslosigkeit ihn zum Versager stempelte. Falilou Seck spielt den verstörten Verlierer sehr sensibel. In Kasimirs mit bildungsbürgerlichen Sprachrelikten aufgeladener Resignation brodelt die kalte Wut auf die ökonomischen Verhältnisse, die seine Liebe unmöglich machen. Sein Ernst grenzt ans Lächerliche, seine Verzweiflung schafft aber ein solides Bindeglied zur Wirtschaftskrisen-Welt des 21.Jahrhunderts. Lippolds Regie braucht dafür glücklicherweise keine angestrengten Gegenwarts-Verweise.
Wie Birger Frehse als schüchterner Textilfabrik-Zuschneider Schürzinger in leidlich eleganten kurzen Hosen (schöne 30er-Jahre-Kostüme: Katrin Wolfermann) reizend sein grünes Eis lutscht, ist für Karoline zwar ein erotisches Signal, aber nicht das goldene Ei, das der alte Kommerzienrat Rauch verspricht. Stefan Preiss als ebenso Lust- wie Herzinfarkt-gefährdeter großbürgerlicher Nachtschwärmer und Rolf Mautz als seniler Haudegen und Erfurter Gerichtsrat Speer gönnen sich etliche Wiesen-Maße, bevor sie im Fest-Feldlazarett lädiert und ernüchtert erwachen. Die beiden drallen leichten Mädels Maria (Nina Tomczak) und Elli (Johanna Wieking) müssen nach den nächtlichen Abenteuern ihre Wunden wohl selbst pflegen.
Herzhaft in eine Bockwurst beißt derweil der Merkl Franz, der auf der schiefen Bahn erwischt wird. Nico Link verkörpert perfekt diesen Macho-Rohling, der seine Erna wie ein Stück Vieh behandelt, aber kapiert, warum Kasimir wie ein Tier gegen die Kirmesbudenwände rennt. Nora Buzalka als äußerlich unscheinbare Erna ist nach allen Demütigungen so hinreißend genau geerdet, dass sie alle Sternbilder kennt und sich leise eine Welt voller Rosen erträumt.
Die Welt wird nicht untergehen, wenn der arme Kasimir seine verlorene Karoline nicht mehr zurücknehmen will. Die glücklose Wiesenbraut wird nicht zugrunde gehen an der Seite des charmanten Schürzinger, der sie glatt verkauft hätte für eine kleine Gehaltsaufbesserung. Sie werden sich weiter festklammern am Marktkarussell. Nur kälter ist es geworden bei diesem nächtlichen Seelen-Totentanz. Abnormitäten hat der Ausrufer versprochen. Aber was ist schon normal, wenn die Angst vor dem Abstieg die Gefühle zerstört?
Die Menschen in dieser poetisch präzisen Inszenierung sind nicht seltsamer als andere. Nur verletzte Träumer im herzlosen Räderwerk der Marktwirtschaft. Das hakt manchmal ein bisschen, was auf Kosten der szenischen Spannung geht. Aber dafür Figuren ins Blickfeld rückt, die Horváths spröde Tragikomik lebendig werden lassen.
Sehr empfehlenswert! E.E.-K.
Spieldauer ca.2 ½ Stunden inkl. einer Pause

Dienstag, 12.02.2013

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