Das Einakter-Tryptichon - kultur 90 - November 2012

Das Einakter-Tryptichon von Paul Hindemith in der Oper: Die Macht der Triebe

Seltsam starr sitzen der Mann und die Frau nebeneinander, während ein merkwürdiges Ritual hinter ihnen abläuft. Schwarzgekleidete Menschen zertrümmern phallisch anmutende weiße Skulpturen, lassen aber die schräg in den Raum ragenden rotbeschuhten hohlen Frauenbeine unbeschädigt. Von oben schaut die bürgerliche Gesellschaft ganz in Weiß dem destruktiven Treiben ungerührt zu. Bis ein wütender Zweikampf losbricht. Der Mann lässt den nackten Oberkörper der Frau blutig brandmarken, sie verletzt ihn mit einem schweren Elektrotacker. Sie begehrt ihn, klettert auf das schräge Gitter, hinter dem er sich verbirgt. Was mit einer dissonanten Posaunenattacke aus der Intendantenloge begonnen hat, endet nach einer knappen halben Stunde mit dem Tod der erschöpften Frau, einer vom Mann angefachten Feuersbrunst und einem Hahnenschrei.
Generalintendant Klaus Weise hat Hindemiths Einakter Mörder, Hoffnung der Frauen, der am Anfang des selten gespielten „Triptychons“ steht, als Künstlerdrama inszeniert. Die archaische Kriegerwelt von Oskar Kokoschkas gleichnamigem Schauspiel ist in eine Art Atelier verlegt. Der weltweit an vielen renommierten Opernhäusern tätige Bühnenbildner Raimund Bauer hat dafür einen transparenten Raum geschaffen, der den archetypischen Geschlechterkampf als künstlerische Auseinandersetzung mit Gewalt und sexuellem Verlangen reflektiert.
Was dem hoch expressiven Text an Handlungslogik fehlt, liefert Hindemiths formstrenge Musik, die noch ganz der Spätromantik verhaftet ist und nur selten nach radikaler Erneuerung klingt. Das Beethoven Orchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Stefan Blunier arbeitet die dialektische Spannung zwischen der assoziativ ungebärdigen Sprache und der gebändigten Klangwelt brillant heraus. Wüste Gegensätze prallen aufeinander wie bei dem ungeheuren Widerspruch zwischen Sehnsucht und Vernichtung, den Julia Kamenik und Mark Morouse stimmlich und körperlich fabelhaft eindringlich präsentieren.
Als das „Beste der drei Stücke“ hat Hindemith selbst das rein weibliche Mittelstück des Triptychons bezeichnet: Sancta Susanna nach einem Drama des expressionistischen Dichters August Stramm. Bekanntlich blieb das Werk bei der Uraufführung der beiden anderen Teile 1921 in Stuttgart noch ausgespart, kam erst bei der Uraufführung des vollständigen Triptychons in Frankfurt auf die Bühne und löste heftige Proteste in katholisch konservativen Kreisen aus. In Weises Bonner Inszenierung ist Sancta Susanna tatsächlich die schönste Passage im Spiel mit den Rätseln der Erotik. Lyrisch zart klingt die Musik, die den betörenden Duft der Mainacht evoziert, in der die Nonne Susanna sich wirklich als Braut Christi begreift. Wenn Schwester Klementia die Betende ermahnt, auch an ihren Leib zu denken, hat das unterdrückte körperliche Verlangen längst Besitz ergriffen von der jungen Frau. Im Hintergrund scheinen die Nonnen mit der schwarzen Klosterwand zu verschmelzen, die von einem leuchtenden kreuzförmigen Eingang durchbrochen wird. Wie Heiligenbilder einer Ikonostase sind sie fixiert. Mit fast unmerklichen Bewegungen (die Damen des Opernchores unter der Leitung von Sibylle Wagner leisten darstellerische Schwerstarbeit!) und fixieren bedrohlich die verstörte Susanna. Wunderbar einfühlsam singt Anjara I. Bartz die Geschichte von der Nonne Beata, die zur Strafe für ihre sinnliche Hingabe an den Leib des Gekreuzigten eingemauert wurde. Ingeborg Greiner verkörpert mit fast überirdisch klingendem Sopran ungemein intensiv die keusche Susanna, die verwirrt vom lockenden Nachtigallenflöten und den eindeutigen Lustschreien von Magd und Knecht, in einer Mischung aus religiöser Ekstase und sexuellem Verlangen ihr schwarzes Nonnengewand abwirft und dem überlebensgroßen Kruzifixus das Lendentuch wegreißt. Den angesichts des Skandals zur Beichte mahnenden Betschwestern schleudert sie ein trotziges „Nein“ entgegen. Ungebrochen folgt sie Beatas Weg in den Tod. Das skandalös Blasphemische ist zurückgenommen in diesem Akt, der eher die Befreiung einer Frau aus der Enge einer mentalen Gefangenschaft präsentiert.
Hinter einem Glitzervorhang befriedigt der schöne Zatwei (stumm verkörpert von dem spärlich bekleideten zierlichen Hayato Yamaguchi) den Liebeshunger der vier Kaisergattinnen. Kathrin Leidig, Vardeni Davidian, Charlotte Quadt und Ingeborg Greiner (aufreizend kostümiert von der im Juli verstorbenen Dorothea Wimmer) sind ein stimmlich fabelhaftes Quartett. Was der notorische erotische Feinschmecker Franz Blei, Autor der finalen Burleske Das Nusch-Nuschi („Ein Spiel für burmesische Marionetten“), sich an fiktiver ostasiatischer Libertinage einfallen ließ, wird nur noch übertroffen von der Unverschämtheit, mit der Hindemith hier musikalische Nationalheiligtümer bumsfidel parodiert. Wie erschöpft Zatwei, der eigentlich nur eine Konkubine verlangte, nach den anstrengenden Damenrunden ist, illustriert das Orchester. Für Aufmunterung sorgen zwei reizende Bajaderen (Julia Kamenik und Susanne Blattert) und zwei skurrile Affen (Josef Michael Linnek und Jae Hoon Jung vom Opernchor beweisen akrobatische Qualitäten), während Zatweis Diener Tom Tom (brillant: der Tenor Roman Sadnik) zwecks Rettung der eigenen Haut dem alten Feldgeneral Kyce Wang (Boris Beletskiy) andient. Das Nusch-Nuschi, Reittier-Schimäre des Begierdengottes Kamadewa, muss zwar dran glauben. Aber der Henker (Martin Tzonev) hat nicht mehr viel zu tun, weil sich die männlichen Anhängsel von allein erledigt haben.
Die Choreographie von Miguel Angel Zermeño kocht die animalischen Triebkräfte hoch, Klaus Weises Inszenierung führt sie nach der gut einstündigen Harlekinade des Schluss­teils zurück ins pure Theater. Das Ensemble schminkt sich vor Garderobenspiegeln ab. Und plötzlich ist wieder diese in der Musik brennend heiß artikulierte Sehnsucht da, die in den drei Episoden ad absurdum geführt wird und am Schluss ein menschliches Maß gewinnt. Ein Regie-Meisterstück mit intelligenten Brüchen, das man auf keinen Fall verpassen sollte! E.E.-K.

Spieldauer ca. 3 Stunden inkl. zwei Pausen

Dienstag, 12.02.2013

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