Hamlet - kultur 90 - November 2012

Hamlet von William Shakespeare in den Kammerspielen: Energischer Wahrheitssucher

Es ist neblig im angefaulten Reich Dänemark, wo Hamlets verblichener Vater gern geisterhaft zur Zigarre greift, während sein Sohn wütend den roten Teppich wegschafft, den Onkel Claudius für die Ehe­show mit Papas Witwe Gertrud ausgerollt hat. Suchscheinwerfer beleuchten den riesigen Raum von Bühnenbildner Martin Kukulies, wo Hamlet der Wahrheit auf der Spur ist und gnadenlos klug alle Illusionen entlarvt. Johannes Lepper setzt in seiner wie im Flug vergehenden Hamlet-Inszenierung auf die Wirklichkeitsinstinkte der Figuren und nimmt Shakespeares durch Heiner Müllers Übersetzung gefilterten Text konsequent ernst.
Das Aufregende dabei ist: Konstantin Lindhorst spielt den Titelhelden nicht als melancholischen Zögerer, sondern als kritischen Intellektuellen, der sich ständig selbst beobachtet. Er ist ein ebenso sensibles wie muskulöses Kraftpaket, das geistreich mit Ahnungen experimentiert und mit Hochdruck agiert, wenn die Sache empörend brenzlig wird. Der höfischen Welt zieht er nicht grundlos das Studium des Wittenberger Biers vor und geht saftig auf die Komödienpiste, ­wenn’s der angemaßten Herrschaft an den Kragen gehen soll. Königin Gertrud (Sabine Wegmann) mischt sich champagnerselig unters Publikum und ist danach eine so hohl ins Leere grinsende Erscheinung, dass Hamlets Mutterkomplex wegkippt wie Ophelias poetische Umnachtung. Anastasia Gubareva macht daraus einen selbstmörderisch rasanten Verzweiflungstraum. Der Kampf um ihre Leiche auf dem Friedhof gerät etwas langatmig; die blauen Kopfhörer auf ­Yoricks Totenschädel sind aber ebenso lustig wie Susanne Bredehöfts genialer Totengräber-Absturz in pure Narretei. Mit Zylinder und blanken schwarzen Stiefeln (Kostüme: Katharina Weissenborn) ­knackt sie taube Nüsse am Klavier, während der Musiker Uli Brüstle ungerührt in die Tasten greift. Der Mann am Piano ist ein kauziger Schatz, sorgt auch leise für Umbauten und Requisiten und überlässt Ophelia freundlich seinen Stuhl, wenn sie Chopin klimpern möchte, bevor sie im Bach ertrinkt.
Es ist ja alles Fiktion in Hamlets Regie-Fantasie um „Sein und Nichtsein“. Wobei er sich bei dem berühmtesten Monolog der Theatergeschichte eine schnöde Plastiktüte über den Kopf zieht und fast erstickt am unüberwindlichen Vers-Atem der Sätze. Lindhorst gelingt es, das emotional Atemlose und das rational Kalkulierte genau abzustimmen. Günter Alt gibt Ophelias Vater Polonius als wachen Geist in einem gut gepolsterten Körper, der selbst nach einem tödlichen Stich in die Eingeweide die Bühne nicht freiwillig verlässt.
Zwischen Kronleuchter und Treppe für den großen Herrscherauftritt ist King Claudius ein mächtiger Gegner für Hamlets wütenden Aufstand gegen die mörderische Anmaßung einer falschen Regentschaft. Bernd Braun (wegen eines Bühnenunfalls wird der Regisseur die Rolle bei einigen Vorstellungen im November selbst übernehmen) spielt einen im politischen Geschäft scharfsinnig gewordenen arroganten Realisten, der strategisch präzis denkt. Dieser gertenschlanke, glatzköpfige Typ laviert sich durchaus sympathisch über alle Klippen und haut einfach ab, wenn das Theater ihm auf die Nerven geht. Zumal die Schauspielerszene hier nur ein albernes Spektakel ist und weniger lustig als das Spionen-Duo Rosenkrantz und Güldenstern (auch in anderen Rollen exzellent: Otto Schnelling und Jörg Seyer), das von Hamlet kurzerhand per Kriegs-Kreuzfahrt entsorgt wird.
Dennis Pförtner ist der tapfere Laertes, der Schwester und Vater rächen möchte und in Claudius’ vergiftete Falle tappt. Das ultimative Gefecht mit Hamlet ist echt und ein sportlich olympiareifes Meisterstück (Fechttraining: Klaus Figge). Leider mit unfair präparierten Waffen, was die Leichenbilanz deutlich erhöht.
Hendrik Richter spielt den unerschütterlich treuen Horatio, der tapfer auf den Rest wartet. Bevor Prinz Hamlet das erlösende Wort „Schweigen“ sagen kann, ist er schon total dramatisch gestorben. Merkwürdigerweise hat man gar nicht lange bis zum bekannten tragischen Ende gewartet. Die gefühlten zwei Stunden waren so stringent gespannt, dass es getrost mehr im normalen Zeitmaß sein durften. Weil die Aufführung, leicht angereichert mit den ebenso üblichen wie überflüssigen Pop- und Comedy-Elementen („Wir war’n im Kreisverkehr“), einfach klug und klar zur Sache kommt. Und mit Lindhorst einen Hamlet-Darsteller hat, der ganz heutig, aber mit Respekt vor dem Riesenwerk eine Sache vertritt, die uns zeitlos angeht. E.E.-K.
Spieldauer ca. 4 Stunden inkl. einer Pause
Die Wochentagsvorstellungen beginnen um 19.00 Uhr.

Dienstag, 12.02.2013

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