Tief in einem dunklen Wald - kultur 87 - Juni 2012

Tief in einem dunklen Wald von Neil LaBute in der Werkstatt: Vom Schmerz der Wahrheit

Nichts stiftet solch solide Verbindungen wie der Hass. Dabei hat alles ganz schlicht angefangen. Betty (angesehene Uni-Professorin, verheiratet, zwei perfekt geratene Kinder) hat ihren Bruder Bobby (Schreiner ohne festen Job, beziehungsgeschädigt) reichlich plötzlich gebeten, ihr beim Aufräumen ihres neuen Ferienhauses zu helfen. Das Gewitter draußen und das flackernde Licht drinnen verheißen nichts Gutes in Neil LaButes neuem Stück Tief in einem dunklen Wald, das in der Regie von Michael Lippold in der Werkstatt seine deutschsprachige Erstaufführung erlebte.
Die einsame Holzhütte am See ist in der detailreichen Ausstattung von Julia Ries eine Realfiktion. Eine Art bürgerliches Hexenhaus, in dem Hänsel und Gretel sich mit Wirklichkeitsbröckchen traktieren. „Wahrheit tut weh“, ließ sie einst am Küchentisch der strenge Vater spüren, der viele Spuren im Leben der Geschwister hinterließ. Dass der Prolet Bobby aus demselben Schoß kroch wie sie, mag Betty kaum noch glauben. Doch Bobby hat nicht nur ein verdammt gutes Gedächtnis für die frühen sexuellen Eskapaden seiner großen Schwester. Günter Alt spielt grandios diesen aus der Bahn geratenen, unter seiner Korpulenz äußerst verletzlichen Loser-Typen, der endlich seinen Triumph wittert über die erfolgreiche Intellektuelle mit ihrer ach so unnahbaren Fassade. Schicht um Schicht blättern die Lügen ab, mit denen Betty ihre saubere Existenz pflasterte. Birte Schrein macht das fabelhaft: Ein winziges Zittern in der Stimme oder eine minimale Handbewegung signalisieren die ganze Brüchigkeit ihres anscheinend souveränen Lebenskonstrukts. Mit jedem Schritt stolpert sie weiter in die Wahrheitsfalle, klebt verzweifelt an unvermeidlichen Geständnissen, erfindet Rechtfertigungen. Es tut zweifellos sehr weh, erotisch nur noch ein durchsichtiger Facebook-Anhang auf dem Laptop eines jungen, ehrgeizigen Promovierenden zu sein, ist aber noch längst nicht alles, was „brennt wie Sau“ beim Schlachtfest der eisigen Selbstzerfleischung.
Die beiden Geschwister schenken sich nichts in diesem brutalen Hassliebe-Nahkampf, der keine psychische Schmerzgrenze auslässt. Sie quälen und verachten sich gegenseitig mindestens auf Strindberg-Niveau. Aber es gibt einen Punkt, der sie dennoch fest zusammenschmiedet. Der handwerklich begabte Bobby wird seine standhafte Betty nicht im Stich lassen, wenn’s darum geht, ihr Auto von harmlosen Kratzern zu befreien. Zu verraten, was auf der dramatisch eingewobenen Krimi-Ebene passiert ist, wäre gemein. Für die flirrenden Zwischentöne sorgt live der Musiker Gregor Schwellenbach, der leise durch die grimmig verwunschene Märchenhütte geistert. Gespenstisch hyperreal wie alles in dieser hellsichtigen Inszenierung, wo nichts mehr grünt im verwilderten tiefen Wald mit seinen an der Oberfläche versteckten schwarzhumorigen Untiefen und Sumpfblüten.
Diese spektakuläre Theater-Aufführung nicht gesehen zu haben, wäre ein echter Fehler. E.E.-K.

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Spieldauer ca. 100 Min., keine Pause
Wiederaufnahme in Spielzeit 2012/2013
Die nächsten Termine:
01.06.12 // 14.06.12 // 20.06.12 // 6.07.12

Montag, 29.10.2012

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