Nur fliegend - kultur 87 - Juni 2012

Nur fliegend von Maja Das Gupta im Ballsaal
Tragische Herrscherinnen der Luft

Zwei der Erotik des Fliegens verfallene Frauen, zwei einsame Träumerinnen auf der Suche nach dem Glück der Schwerelosigkeit und dem seligen Augenblick über den Wolken, dessen Schönheit leider sehr vergänglich ist. Sie wollten hoch hinaus, die beiden Flugpionierinnen Melli Beese (1896 – 1925) und Marga von Etzdorf (1907 – 1933). Beide haben sich erschossen, als sie mit guten Gründen vermuteten, nicht mehr fliegen zu dürfen. Im Leben sind sie sich nicht begegnet, ein fiktives Treffen konstruiert die 1973 in München geborene Autorin Maja Das Gupta in ihrem neuen Stück Nur fliegend, das in der Regie von Frank Heuel im Theater im Ballsaal uraufgeführt wurde. Die mehrfach ausgezeichnete Dramatikerin Das Gupta, 2002 bereits Teilnehmerin des Nachwuchs-Autorentreffens der Bonner Biennale, hat das Werk im Rahmen des Projektes „Fringe-Writers“ im Auftrag des Bonner Fringe-Ensembles verfasst. Es ist trotz diverser Original-Zitate und biografischer Zeugnisse kein Doku-Drama, sondern eine Studie über zwei sehr unterschiedliche Frauen, die radikal ihren Traum vom Fliegen verwirklichten und dabei die männliche Lufthoheit durchbrachen.
Am großen weißen Kartentisch vor Wolkenvideos hocken Melli und Marga in schwarzer Fliegerkluft mit Sonnenbrillen und Kopfhörern (Ausstattung: Annika Ley) und warten auf die Freigabe des Starts zum Himmel. Bettina Marugg spielt die technisch überlegene Melli Beese, die als gelernte Bildhauerin jede Maschine auch als Kunstwerk begreift, selbst Fluggeräte konstruiert und nach etlichen Knochenbrüchen morphiumsüchtig wird. Sie ist die Frau, der das heiße Herz brach, weil sie als mit einem Franzosen verheiratete ‚Ausländerin’ im Ersten Weltkrieg kaltgestellt wurde und ihre Flugzeugfabrik in den politischen Wirren verschwand. Ihr Mann bekam viel Geld für die Scheidung; sie verarmte und gab sich die Kugel, als eine Bruchlandung die Erneuerung ihrer Fluglizenz zunichte machte. Sie ist die tragische Herrin der Lüfte und lässt das die ehrgeizige jüngere Konkurrentin deutlich spüren. Für sie ist Marga nur ein reiches Glamourgirl, das ohne solide handwerkliche Kenntnisse Strecken- und Höhenrekorde verbucht, sich eine knallgelbe eigene Maschine leisten kann und bei populären Shows für Geld Loopings und Rückenflüge absolviert: Ein Verrat am wirklichen Sinn des Fliegens!
Petra Weimer spielt die burschikos elegante Marga von Etzdorf, die als erste deutsche Fliegerin einen spektakulären Alleinflug nach Tokio schaffte und danach eine Stelle als Kopilotin bei der Lufthansa bekam. Das Langstreckenfieber wurde ihr zum Verhängnis. Nach einer Notlandung in Syrien auf dem Weg nach Australien wählte sie den Freitod.
Heuels Inszenierung lässt die beiden Frauen am Boden aufeinander losgehen. Sie verachten sich, halten aber zusammen, wenn der Wind ihnen das Abheben erlaubt. Ihr dramatischer Absturz nach dem Höhenflug ist filmreif: Spiel mir das Lied vom Tod der wilden Wolkenreiterinnen in ihren fliegenden Kisten. Sie wollten nach nur nach oben, weil der Flug das Leben wert ist. Heute düst man im A 380 nach Tokio und denkt kaum noch dran, dass Fliegen vor einem knappen Jahrhundert keine banale Fortbewegung war, sondern ein großartiges Lebensgefühl.
Eine unvergessliche Theaterflugstunde, die leider vor der Sommerpause nicht mehr auf dem Spielplan steht. E.E.-K.

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Spieldauer ca. 70 Minuten, keine Pause
Weitere Termine zur Zeit nicht bekannt.


Montag, 29.10.2012

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