Lakmé - kultur Nr. 84 - März 2012

Lakmé von Léo Delibes in der Oper – Gestörtes fremdes Paradies

Es ist eine alte Geschichte: Junger Mann aus dem Westen verliebt sich in fernöstliche Schönheit. Zwei Kulturen prallen aufeinander; der Mann kehrt zu den Seinen zurück, das Mädchen überlebt die Enttäuschung nicht. Berühmteste Vertreterin dieser schmählich Verlassenen ist Puccinis japanische „Madame Butterfly“. Gut 20 Jahre früher erschien Delibes’ indische Lakmé, die einzige Oper des französischen Komponisten, die bis heute auf den internationalen Spielplänen präsent ist. Relativ selten zwar, aber Gesangsnummern mit Ohrwurmqualitäten wie das Blumenduett und die Glöckchenarie sind längst jenseits des Musiktheaters populär.
In der Bonner Neuinszenierung erzählt der belgische Regisseur Paul-Emile Fourny die Geschichte mit hohem Res­pekt vor der Musik. Fourny, seit 2011 künstlerischer Leiter der Oper in Metz, die die Aufführung koproduziert hat und übernimmt, verzichtet auf vordergründige Aktualisierungen und kritische Regiezutaten. Er zeigt in schönster Werktreue schlicht das Stück, entwickelt Handlung und Figuren ästhetisch sensibel und nimmt dafür traditionelle Klischees gelassen in Kauf. Bezaubernd ist das Bühnenbild von Benoît Dugardyn mit riesigen filigranen Gitterfenstern, die die Innenwelt verbergen und gleichzeitig nach außen öffnen. Auf einer Drehbühne ermöglicht ein Paravent mit den typisch indischen geometrischen Mustern bei wechselnder Beleuchtung (Licht: Max Karbe) ständig neue Perspektiven. Prächtig sind die weißen Uniformen und Kleider der eleganten Kolonialgesellschaft, leuchtend farbig die Saris der Inderinnen (Kostüme: Giovanna Fiorentini).
Rot trägt die schöne Brahmanentochter Lakmé beim Morgengebet. Miriam Clark (*1980 in Frankfurt/Main) ist in der Titelrolle unstrittig der Star der Aufführung. Ihr klarer Sopran erhebt sich mühelos in schwindelerregende Höhen. Eine Ausnahme-Stimme, die eine ganz große Karriere verspricht! Bei dem gefürchteten Koloratur-Bravourstück, der berühmten Glöckchenarie, schwebt Lakmé tatsächlich auf einer Schaukel nach oben. Clark (alternierend mit der vielfach preisgekrönten Polin Aleksandra Kubas, Ensemblemitglied der Oper Breslau und nun gefeierter Gast in Bonn) macht auch die dramatische Substanz dieses Momentes deutlich: Mit ihrem traumhaften Gesang soll sie den geliebten Gérald anlocken und der tödlichen Rache der Priester überlassen.
Der rumänische Tenor Alexandru Badea (alternierend mit dem Ensemble-Mitglied Mirko Roschkowski) verkörpert mit feiner lyrischer Stimme diesen englischen Offizier, der naiv dem exotischen Zauber erliegt und das mythische Heiligtum entweiht. Lakmés strenger Vater Nilakantha kennt da kein Pardon. Renatus Mészár (alternierend mit Ramaz Chikviladze) leiht dem würdigen Brahmanen seine herrlich runde, eindrucksvolle Bass-Stimme. Die turbanbewehrten Hindus der oberen Kasten und das Fußvolk auf dem Markt sehen zwar aus wie Bilderbuch-Inder aus Reiseberichten des 19.Jahrhunderts, und die drei reizenden Tempeltänzerinnen (Delibes’ Zugeständnis an die beliebten Balletteinlagen der Grand Opéra) haben in der Choreo­graphie von Elodie Vella mit originaler indischer Tanzkunst wenig gemein.
Wie man sich im Westen den Duft der großen weiten östlichen Welt vorstellte, macht das Beethovenorchester unter der animierten Leitung von Generalmusikdirektor Stefan Blunier zum fabelhaften Klang­ereignis. Im Graben blüht es instrumental vielfarbig schillernd. Was Blunier aus der Partitur hervorzaubert, hat ein solch betörendes Suchtpotenzial, dass man sich gelegentlich vor lauter Tonschwelgerei in den weichen Salonkissen eines luxuriösen Maharadscha-Palas­tes wähnt.
Bezaubernd intim klingt dagegen das weiblich empfindsame Blumenduett, in dem Kathrin Leidig (nicht nur auf der Bühne deutlich schwanger), als Mallika alternierend mit Susanne Blattert, den Mezzosopran-Part auf gesanglicher Augenhöhe mit der Sopranstimme gibt. Sängerisch und darstellerisch perfekt wie immer agiert der Opernchor unter der Leitung von Sibylle Wagner.
Auf der Seite der hochnäsigen Kolonialmacht dominiert der Bariton Giorgos Kanaris als Géralds Freund Frédéric, der stets galant Haltung bewahrt. Was durchaus nützlich ist angesichts von Géralds kapriziöser Verlobter Ellen (entzückend: Julia Kamenik), deren koketter Cousine Rose (Charlotte Quadt) und der sonnenschirmfuchtelnden Gouvernante Mistress Bentson (witzig: Anjara I. Bartz).
Lakmé gelingt es zwar, den verwundeten Gérald mit Hilfe ihres Dieners Hadji (Carles Prat) vor ihren wütenden Landsleuten in Sicherheit zu bringen und gesund zu pflegen. Es kommt freilich, wie es kommen muss: Der junge Offizier will zurück zu seinen Kameraden. Lakmés von wirklichen Glaubensgeheimnissen geprägte Welt war für ihn nur ein faszinierendes Ausflugsziel, ein zerbrechliches Paradies.
Angetan mit ihrem magischen Schmuck wird Lakmé dieses nie mehr verlassen. Für den tragischen Schluss hat die Regie eine überraschende, tief berührende Lösung gefunden: Lakmé opfert ihren Liebestraum und ihre persönlichen Gefühle. Wie eine lebende Leiche geht sie von ihrem Vater geleitet aufrecht in den Tempel, wo sie nur noch den Göttern dienen wird. Zum Sterben schön und musikalisch anbetungswürdig.
Dass die Produktion insgesamt eher konservativ, sängerfreundlich und zuschauerwirksam angelegt ist, dürfte ihrem Erfolg nicht im Weg stehen. Das Premierenpublikum sparte jedenfalls nicht mit Applaus für das grandiose Ensemble und die süffige Musik. E.E.-K.

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Spieldauer ca. 2½ Stunden inkl. einer Pause
Im Programm bis 01.06.12
Die weiteren Termine:
18.03.12// 22.03.12 // 01.04.12 // 13.04.12 // 20.04.12 // 12.05.12

Dienstag, 09.10.2012

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