Tod eines Handlungsreisenden - kultur 74 - März 2011

Humankapital in der Krise – Tod eines Handlungsreisenden in den Kammerspielen

Willy Loman bekommt kein festes Gehalt mehr, sondern nur noch erfolgsabhängige Provisionen. Sein Leben ist nicht mehr viel wert. Bei dem verzweifelten Versuch, seine Existenz zu rechtfertigen, vermischen sich Gegenwart und Vergangenheit. Er kann aus seinem Traum vom erfolgreichen Selfmademan nicht mehr aufwachen. Matthias Font­heim, Intendant des Staatstheaters Mainz, inszeniert Arthur Millers 1949 uraufgeführtes bekanntestes Stück Tod eines Handlungsreisenden deshalb auch nicht mit Rückblenden, sondern lässt die Zeiten unmittelbar im Hier und Jetzt zusammenfließen. Sein Willy Loman ist kein pensionsreifer alter Mann, sondern einer in der Lebensmitte. Großartig verkörpert wird er von Hendrik Richter, der das fatale Gemisch aus Sehnsucht nach Anerkennung, Stolz auf das angeblich Erreichte und Angst vor dem Absturz in jedem Moment völlig normal erscheinen lässt. Es gibt nicht Pathologisches in seiner beklemmend genauen Figurengestaltung, kein Abdriften ins Irreale, kein gespaltenes Bewusstsein. Loman ist kein durchgedrehter Versager, sondern ein Produkt seiner Wünsche, die von der ökonomischen Wirklichkeit überholt wurden.
In Fontheims knapper, sprachlich ins Heute geholter Textfassung (aus dem geklauten teuren Füller wird z.B. ein Blackberry) spielen alle quasi auf Augenhöhe mit dem Publikum. Sie treten aus der ersten Zuschauerreihe auf, wo sie auch die Kostüme wechseln. Es ist kein Illusionstheater; die Bühne von Ausstatter Marc Thurow ist ein nach vorne geschobener leerer Metallkasten ohne jede Andeutung von Realismus. Aus diesem blendend kalten Raum (die Lichtspiegelungen auf den Wänden blenden den Blick ab und zu tatsächlich) gibt es keinen Ausweg. Alle sind gefangen in der Verblendung von Willy Loman, der nur das Beste will und sein Mittelmaß nicht akzeptiert.
Damit abgefunden hat sich seine geduldige Gattin Linda. Nina V. Vodop’yanova spielt in Jeans und T-Shirt die ständig von ihrem Mann gedemütigte Frau und übernimmt auch alle anderen weiblichen Rollen in dem von Männern dominierten Werk. Auf roten High-Heals ist sie das erotische Abenteuer, das Papa Loman gelegentlich die Dienstreisen versüßte, und schließlich das kokette Mädchen in der Bar, wo die Söhne ihren Vater sitzen lassen. Oliver Chomik ist der geliebte Biff, der eine Sportskanone war und mit kleinen Gaunereien sein Leben vermasselte. Er spielt wunderbar genau den naiven, kräftigen Jungen, in den Loman all seine Zukunftshoffnungen setzte, und den nicht mehr ganz jungen Mann, der trotz aller Enttäuschungen an seinem Vater hängt und in der finalen emotionalen Auseinandersetzung der Wahrheit zu ihrem Recht gegen über der behaupteten Wirklichkeit verhilft.
Birger Frehse ist der weniger geliebte jüngere Sohn Happy mit bescheidenem Einkommen und üppigem Frauenverschleiß. Als schnöseliger junger Firmenchef Howard lässt er Willy verdammt alt aussehen, wenn er ihm knallhart deutlich macht, dass Leute wie er im Betrieb nicht mehr gebraucht werden. Konstantin Lindhorst spielt Biffs Schulfreund Bernard, den Loman als unnützen Streber und Underdog abtat. Was ist schon eine gute Zensur in Mathe gegen den sicheren Ruhm eines Football-Stars? Später wird Bernard in Eile sein und Willy freundlich abfertigen, um den Flieger nach Washington nicht zu verpassen. Dass sein Sohn als Anwalt am Obersten Gerichtshof zu tun hat, erklärt Willys alter Freund Charley (Raphael Rubino) eher beiläufig, bevor er zur Geldbörse greift, um wie schon so oft Loman aus der Schuldenfalle zu helfen. Einen ordentlichen Job hätte der einst verachtete Charley auch zu bieten, aber Willy sieht’s in seinem Wahn vom selbstständigen Unternehmer eher als unsittlichen Antrag.
Sein Ideal ist der Einzelkämpfer. Wie sein Bruder, der jung in den Dschungel ging und stinkreich zurückkehrte. Günter Alt als längst verblichener Onkel Ben ist eine konkrete Traumerscheinung in Lomans verpfuschtem Leben und darf deshalb als einziger die Grenzen der hermetischen Bühnenwelt überschreiten. Hoch oben lockt er den Lebensmüden mit der letzten Krisen-Reserve: Durch seine mühsam angesparte Lebensversicherung ist Loman noch was wert für die Zukunft der Familie. Humankapital im Wortsinn. Lomans Vision vom durch harte Arbeit selbst geschaffenen Wohlstand und Ansehen – eine kleinbürgerliche Illusion aus der American-Dream-Traumfabrik.
Seinen Samen möchte Loman freilich hinterlassen, wenn seine Söhne schon nichts taugen. Da kommt er heraus aus dem Bühnenkäfig, buddelt ungeheuer geschäftig mit bloßen Händen die Erde auf und fällt splitternackt in sein eigenes Grab. Ein zutiefst berührendes starkes Bild, nachdem man auf den selbstmörderischen Autocrash und das Requiem des Originaltextes getrost verzichten kann. Es gibt keinen Trost in dieser materialistischen Welt, wo ein Mensch nach Kosten-Nutzen-Rechnungen zu funktionieren hat.
Das Bonner Schauspiel-Ensemble beweist mit dieser hervorragenden Arbeit erneut seine Leistungsfähigkeit. Regisseur Fontheim zeigt ohne großen Materialaufwand mit perfekter Personenführung einfach höchst lebendiges Schauspielertheater. Ein konzentriertes, entschieden sehenswertes Kammerspiel, das einen Klassiker des 20. Jahrhunderts zum aktuellen Ereignis macht!
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., keine Pause
Im Programm bis: ????
Matinee (Eintritt frei) 20.03. - 11 Uhr

Donnerstag, 17.11.2011

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