That Face - kultur 58 - Juni 2009

Familienszenen I - That Face von Polly Stenham in der Werkstatt

Ihr erstes Stück wurde eins der erstaunlichsten Theater-Debüts der letzten Zeit. Die Engländerin Polly Stenham war 19 Jahre alt, als That Face 2007 mit großem Erfolg am Londoner Royal Court Theatre uraufgeführt wurde. Seitdem gilt sie als eines der großen Talente der jungen britischen Dramatik. Es steckt viel Lebenskenntnis in ihrer Darstellung einer kaputten Familie. Die deutschsprachige Erst­aufführung von That Face hat der junge Regisseur Jens Kerbel sehr sensibel und mit glänzender Personenführung in der Werkstatt inszeniert.
Die weiße Kissenlandschaft (Bühne: Sigrid Trebing / Jens Kerbel) ist zunächst der Internatsschlafsaal, in dem Mia und ihre Klassenkameradin Izzy die Schülerin Alice (Chiara Kerstan) quälen. Eins der üblichen Initiationsrituale in britischen Internaten, allerdings sind die beiden etwas zu weit gegangen. Alice landet auf der Intensivstation, Mia soll die Schule verlassen. Ihr Vater, als erfolgreicher Makler mit neuer Familie in Hongkong tätig, hat den nächsten Flieger nach London genommen, um die Sache irgendwie zu regeln. Zumal die Schulleitung deutliche Zweifel an Mias häuslicher Situation geäußert hat.
Dort räkeln sich auf dem Bett Martha und der junge Henry. Er ist freilich nicht ihr Liebhaber, sondern ihr Sohn. Wobei Martha meistens so betrunken ist, dass sie die Realität kaum noch wahrnimmt. Tatjana Pasztor mit zerlaufener Wimperntusche und wechselnden schrillen Perücken liefert mit intensivem Körpereinsatz ein eindrückliches Porträt dieser alkohol- und tablettensüchtigen Frau. Völlig ausgeflippt, gelegentlich hyperventilierend, im Dauerdelirium rabiat zärtlich, brutal mütterlich, animalisch aggressiv und schamlos in ihrer selbstzerstörerischen Lebensgier. Henry steckt fest in ihrem Klammergriff. Oliver Chomik spielt wunderbar feinfühlig den überforderten, künstlerisch begabten Jungen, der längst die Schule geschmissen hat, um seiner Mutter nahe zu sein und ihren Zustand irgendwie unter der Decke zu halten. Maria Munkert ist der schnodderig selbstbewusste Teenager Mia. Hinter ihrer abgebrühten Coolness zeigt sie eine tiefe Verletzlichkeit.
Als freches, pralles Girlie Izzy glänzt Anastasia Gubareva. Izzy hat Sex mit Mias Bruder Henry in Papas schickem Docklands-Apartment, was Marthas Ginpegel hochschnellen lässt. Die Mädels tragen putzige Hi-Chucks mit kleinem Absatz (Kostüme: Sigrid Trebing). Natürlich haben sie das nötige Kleingeld für angesagte Klamotten und Drogen. Mias Vater Huch kann mit einer großzügigen Spende auch ihren Rausschmiss aus dem teuren Internat verhindern. Wolfgang Rüter spielt den eleganten Manager, der leicht angeekelt seine verwahrlose Erstfamilie betrachtet und das Beste für sie sucht. Klar: Die verrückte Martha gehört in eine Klinik, und die Kinder sollen wieder zur Schule gehen. Henry bricht schluchzend zusammen, wenn seine Mutter geht, für die er alles ihm Mögliche getan hat. Am Ende trägt er verzweifelt ihr Kleid und ihren Lippenstift. Wohin sie – das populäre französische Liedchen „Au clair de la lune“ auf den Lippen – geht, bleibt offen.
Die schonungslose Aufführung geht jedenfalls direkt unter die Haut. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., ohne Pause
Im Programm bis: 23.06.09

Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit.

Donnerstag, 14.01.2010

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