Orlando - scrapped - kultur 58 -Juni 2009

Mondlabyrinth - "Orlando - scrapped" Uraufführung von CocoonDance in der Oper

Möglicherweise sind sie ja noch zu gebrauchen, all die vergeblichen Liebesschwüre, verworfenen Pläne, ungenutzten Minuten und sinnlosen Kämpfe gegen Fortunas launische Spiele. Auf dem Mond wird’s sorgfältig sortiert und aufbewahrt, erklärt der Apostel Johannes als planetarischer Reiseführer dem staunenden englischen Herzog Astolfo in Ludovico Ariostos Epos Orlando furioso. Die Choreographin Rafaële Giovanola, der Dramaturg Rainald Endraß und ihr Bonner Ensemble CocoonDance haben die aberwitzige literarisch-allegorische Mondexpedition zum Anlass genommen für ihr neues Stück Orlando – scrapped, das in der Reihe „Highlights des internationalen Tanzes“ und gleichzeitig auch als Beitrag zum Festival „tanznrw 09“ seine mit viel Beifall bedachte Uraufführung (und vorläufig einzige Vorstellung) im Bonner Opernhaus erlebte.
Das Bühnenbild von Ausstatter Frank Chamier ist reduziert auf transparente Folien im Hintergrund und einen leeren Raum, in dem die sinnverwirrten, spiegelverkehrten Gedanken und Gefühle Gestalt annehmen und gelegentlich buchstäblich auf dem Kopf stehen. „Scrapped“: in Bruchstücke zerlegt, ausrangiert, schrottreif wie Ritter Orlandos durch rasende Eifersucht zerfetzter und vorsorglich auf dem Mond zwischengelagerter Verstand. Rafaële Giovanolas Inszenierung folgt Ariostos labyrinthischer Erzählweise, spinnt keinen hilfreichen Ariadnefaden durch die verschachtelte Geschichte und zeigt keine linear agierenden Figuren. Ihre elf Tänzerinnen und Tänzer entwi­ckeln energiegeladene individuelle Kraftfelder mit wechselnden Zentren, ratlos verloren zwischen einer fluktuierenden Geometrie und physischer Hochspannung. Die Musik des Bonner Komponisten Jörg Ritzenhoff zitiert Händels Oper Orlando und unterläuft die heile barocke Klangseligkeit mit raffinierten Tonbrechungen. Ätherische Klangbilder und brutaler Schlachtenlärm schieben sich über und unter die Momentaufnahmen aus den fantastischen Träumen der zu Körpern geronnenen Hirngespinste.
Wie eine schöne Erinnerung ans goldene Zeitalter schwebt die Sängerin Susanne Blattert, unvergesslich als Zauberin Alcina in Vivaldis Oper Orlando Furioso, mit weißer Perücke und prächtigem goldenem Kleid melancholisch durch die Szenerie. Ihre Stimme erhebt sich mit wunderbarer Klarheit über die zugespielten elektronisch verfremdeten Orchesterklänge. Ungemein präzis auf die tänzerischen Bewegungen zugestimmt leitet Jörg Ritzenhoff die Live-Musik, unterstützt von Matthias Höhn mit verschiedenen Blasinstrumenten und der erst vierzehnjährigen Geigerin Jella Linnert.
Yoshiko Waki (in der vergangenen Saison Mitglied in Kresniks Bonner Tanztruppe) umschwirrt als Miniaturausgabe der glänzenden Barock­fürstin ihr großes Ebenbild. Das goldene Flügelross, recycelt aus dem Fundus von Vivaldis Orlando, bleibt freilich halbiert. Nach 80 Minuten senkt und hebt sich der Vorhang gleich mehrmals. Kein Versehen, sondern ein pfiffiger Regie-Einfall: Sie dreschen weiter aufeinander ein und behaupten unermüdlich ihre „next sexy version“ auf dem imaginierten Erdtrabanten.
Facit: Nicht jedes Scrap-Fundstück ist gleich das große Los. Dass in Bonn Tanz auf hohem Niveau nicht nur eingekauft, sondern auch erarbeitet werden kann, hat die erste Koproduktion zwischen dem Theater Bonn und der freien Bonner Compagnie CocoonDance trotzdem nachdrücklich bewiesen.
E.E.-K.

Dienstag, 12.01.2010

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