Tintenherz - kultur 30 - Oktober 2006

Abenteuer in der Tintenwelt - Tintenherz von Cornelia Funke als Musical im Jungen Theater

Figuren aus Texten lebendig zu machen, gehört zur Tradition des Theaters. Dass es durchaus gefährlich werden kann, wenn erfundene Wesen ihr Eigenleben entfalten und nicht mehr zurückwollen in das ihnen zugedachte Schicksal zwischen zwei Buchdeckeln, davon erzählt der Roman Tintenherz von Cornelia Funke, ihr bisher erfolgreichstes Werk und längst weltweit ein Bestseller. In Hollywood ist eine opulente Verfilmung in Vorbereitung. Die Autorin selbst hat sich dafür eingesetzt, dass das Junge Theater Bonn die eigentlich schon nach Amerika vergebenen Rechte für eine Musicalfassung von Tintenherz bekam, weil sie sehr begeistert war von den Bonner Dramatisierungen ihrer Romane Herr der Diebe und Drachenreiter.
Intendant Moritz Seibert und Regisseur Marco Dott haben einzelne Handlungsfäden aus dem komplexen Textgewebe herauspräpariert und gemeinsam mit ihrem bewährten Musikteam Stefan Witt und Valerie Joy Simmonds mitreißende Songs dazu verfasst, die hier mehr als bloße Nummern sind. Zum ersten Mal hat sich das Junge Theater Bonn an ein richtig großes Musiktheater herangetraut mit einer fünfköpfigen professionellen Live-Band, die es entschieden verdient hätte, auf der Bühne auch sichtbar zu sein, wofür auf der Bühne an der Beueler Hermannstraße jedoch leider kein Platz ist. Für die phantastischen Verwandlungen hat Laurentiu Tuturuga eine raumgreifende drehbare Bühneninstallation entworfen, die mit ihren gotischen Fensterrahmen und Bücherstapeln allein schon sehenswert ist.
Zwischen Büchern ist die zwölfjährige Meggie (glänzend: Caroline Tyka/Amina Schichterich) zu Hause. Ihr Vater Mo (mit jungenhaftem Charme: Markus Brien) restauriert nämlich alte Bücher. Nur vorlesen mag er nicht, und das hat etwas damit zu tun, dass in einer tintenschwarzen Nacht Meggies Mutter Resa (Andrea Brunetti) spurlos verschwunden ist. Dass das etwas mit dem geheimnisvollen alten Buch Tintenherz zu tun hat, erfährt Meggie allmählich, als der seltsame Gaukler Staubfinger auftaucht (darstellerisch und auch als Jongleur und Feuerschlucker brillant: Christoph Banken). Mo hat als „Zauberzunge“ nämlich die seltene Gabe, aus Büchern Menschen heraus und wieder zurück zu lesen. Der undurchsichtige Staubfinger gehört zu diesen Gestalten ebenso wie der herzlos teuflische Capricorn (als Mafioso im weißen Anzug: der Regisseur Marco Dott). Der hat eine von Valerie Simmonds virtuos choreographierte junge Gefolgschaft, will aus begreiflichen Gründen nicht in die „Tintenherz“-Geschichte zurück und deshalb alle noch vorhandenen Exemplare dieses Buches vernichten. Eins ist noch in der Bibliothek von Tante Elinor (wunderbar schrullig, aber mit gesundem Menschen- und Weltverstand: Giselheid Hönsch - siehe auch S. 11), die in Italien ihrer Büchersucht frönt.
Die erlesen komischen Bösewichter Basta (Jan Herrmann) und Flachnase (Sören Ergang) machen unter Capricorns Fuchtel allen liebenswürdigen Büchernarren das Leben reichlich schwer. Weil Meggie jedoch von Mo die Zauberzungen-Fähigkeiten geerbt hat, aus Tausendundeiner Nacht den dramaturgisch nicht ganz einleuchtenden, aber absolut bezaubernden Prinzen Farid (Marvin Goddon/Timo Rüggeberg) herausliest, und weil der imaginäre „Tintenherz“-Dichter Fenoglio (Arno Krebs) noch mal zur Feder greift, geht das Ganze doch noch gut aus.
Wer Tante Elinors Bibliothek abgefackelt hat, gehört sowieso in die finsterste Drachenhölle und soll ewig Druckerschwärze fressen oder eine Million Bücher von jeweils mindestens 570 Seiten am Bildschirm lesen. Und den restlos begeisterten Zuschauern im JTB die Lust an den Büchern überlassen, weil Lesen zwar nie ganz ungefährlich ist, aber ein höchst sinnliches Vergnügen. Und weil dieses Tintenherz allen verbohrten Pisa-Pessimisten und tapfereren „Käpt'n-Book“-Matrosen mal kurz eine lange Nase zeigt. E.E.-K.

Tintenherz ist für Zuschauer ab 10 J. empfohlen.
Aufführungsdauer: ca. 21/2 Std. mit Pause
Im Programm bis: ?????

Donnerstag, 07.01.2010

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