Quartett - kultur 57 - Mai 2009

Gefährliche Lieblosigkeiten - Quartett von Heiner Müller im Euro Theater Central

Erst auf dem Schlachtfeld der erloschenen Gefühle werden die Marquise de Merteuil und ihr ehemaliger Liebhaber, der Vicomte de Valmont, zu einem ewig unzertrennlichen Paar. Sie sind amoralische Ausgeburten der Aufklärung, experimentieren mit Trieben und Empfindungen, zerfleischen sich mit der kalten Leidenschaft des reinen Verstandes. Merteuil bestimmt die Sachlage: „Was geht mich die Lust meines Körpers an. Ich bin keine Stallmagd. Mein Gehirn arbeitet normal.“ Das Herz ist nur blutiges Muskelfleisch, eine notwendige Antriebsmaschine. Gefühle sind Produkte einer psychophysiologischen Mechanik und bei entsprechender Intelligenz präzis zu steuern. Was Merteuil mit Hilfe ihres Werkzeugs Valmont zu beweisen gedenkt.
Die Struktur von Geschlechterbeziehungen wollte Heiner Müller, der im Januar dieses Jahres achtzig geworden wäre, freilegen in seinem Quartett, uraufgeführt 1982, genau zweihundert Jahre nach dem Erscheinen von Choderlos de Laclos’ Briefroman Gefährliche Liebschaften. Müller präpariert aus der fingierten Intimität der Briefe einen Dialog heraus, ein virtuoses Sprachspiel nach den Gesetzen der Logik. Keine sexuellen Feuchtgebiete also, sondern die Kältewüste von Macht, Verführung, Verrat und Hass. Im Euro Theater Central inszeniert Ulrich J.C. Hartz, der dort bereits Urs Widmers Top Dogs erfolgreich in den Boxring schickte, den Schaukampf der Marquise und des Vicomte als brillanten gedanklichen Schlagabtausch. Ausstatterin Marijke Brinkhof hat dafür einen Laufsteg in die Mitte des Raumes gebaut. Weiß ist die weibliche Seite mit Spiegel, Fächer und anderen Utensilien femininer Eitelkeit, schwarz die männliche mit gröberem Handwerkszeug. Zwei witzig collagierte Vanitas-Stillleben, die das genauere Hinschauen lohnen.
Helga Bakowski ist die weiße Königin im Reich der lustvollen Intrigen. Sie ist eine verletzliche Bestie und eine bissige Verstandes­akrobatin, eine elegante Seiltänzerin auf dem dünnen Draht ihrer Allmachtsfantasien und Absturzträume. Sie dreht lässig Bosheits-Pirouetten und schamlose Sentenzen-Saltos, ist die herzlose Grande Dame der libertinen Gesellschaft. Weil sie die Funktionsweise weiblicher Herzen bestens kennt, müssen die naive junge Volange und die sentimentale Moralpredigerin Tourvel dran glauben: „Was ist die Verwüstung einer Landschaft gegen den Raubbau an der Lust durch die Treue eines Gatten?“
Thomas Franke als Valmont ist ihr absolut ebenbürtiger Partner beim frivolen Kammerspiel. Ein bulliger schwarzer Fürst mit Federkrone und blutroten Spuren auf dem kahlen Hinterkopf. Er ist sanft und brutal, hinterhältig und sprungbereit wie ein verwundetes Tier. Er unterwirft sich, um im nächsten Moment zu triumphieren. Er ist Merteuils robuste Kampfmaschine im Geschlechterkrieg und ihre Trumpfkarte im Quartett. Wobei der Stücktitel auch musikalisch zu verstehen ist. Erst die mitgespielten Stimmen der beiden Opfer machen das infernalische Konzert vollkommen. Erst wenn die kleine Klos­terschülerin Volange der Sünde huldigt und die Bastionen der keuschen Tourvel mehr als sturmreif geschossen sind, herrscht Waffenstillstand. Vom Baum der Erkenntnis haben sie genossen; die Qual, nicht Gott zu sein, lässt sie kapitulieren. Valmont genießt das süße Gift in seinem letzten Glas Wein. Merteuil gibt sich ihrem ultimativen Liebes­abenteuer hin.
Eine monströse, scharfsinnige Farce voller bitterer Ironie. Als Gehirnnahrung bes­tens geeignet! Statt eines Programmheftes gibt es eine CD zum Nachhören mit einem Booklet zum Nachlesen. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca.1 ¼ Std., keine Pause
Im Programm bis: ???
Nächste Vorstellung: 14.05.09

Donnerstag, 07.01.2010

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