Die goldenen letzten Jahre - kultur 56 - April 2009

Muntere Happy-Ender - Die goldenen letzten Jahre Uraufführung von Sibylle Berg in der Werkstatt

Da hocken sie eng zusammen auf dem braunen Kunstledersofa, schauen ein wenig schüchtern in die Runde und freuen sich, dass das Leben es endlich doch noch gut mit ihnen gemeint hat. Zu Dauerverlierern waren sie schon während der Schulzeit programmiert, die Alphatiere haben ihnen übel mitgespielt. Bis Bea, Rita, Paul und Uwe davon überzeugt waren: Weiter runter geht immer. Aber irgendwann ­ging’s wieder bergauf. Schönheit, ererbter Reichtum, Erfolg in Sport, Job und Liebe – alles völlig überschätzt. Wer nichts zu verlieren hat, kann nur gewinnen. Mit den Jahren wuchs die Gelassenheit und bekam diesen defizitären Existenzen blendend. Der Überlebenskampf im universalen Dschungelcamp ist vorbei, Die goldenen letzten Jahre haben begonnen, der Lebensabend sieht rosig aus. Es hat sich echt gelohnt, älter zu werden.
Zu solch hoffnungsfroher Botschaft gesellt sich in der Werkstatt eine Menge schwarzer Humor. Die goldenen letzten Jahre, im Auftrag von Theater Bonn verfasst von Sibylle Berg und unverschämt komisch inszeniert von Schirin Khodadadian, ist eine böse kleine Groteske vom Ende der Niederlagen und vom Triumph der Underdogs. Ausstatterin Carolin Mittler hat die Werkstattbühne mit einem perfekt gemalten Urwald-Halbrundhorizont und ausgestopften wilden Tieren hergerichtet wie eins dieser alten Dioramen in Naturkunde-Museen, an denen man sich als Kind kaum satt sehen konnte. Richtig schön sind auch die von Michael Barfuß vertonten Songs mit solch abgründig melancholischen Versen wie: „Bin ich daheim, schnappt mich die Stille, das Bett, die alte Sau, die lacht. (…) Liebe gibt’s doch nur in Liedern, im Leben gibt’s doch so was nicht. Ich rede noch was zu mir selber, dann lösche ich mit Angst das Licht.“
Zum Weltschmerz waren alle geboren, die sich ein paar Jahrzehnte nach der Schule beim Klassentreffen die von Ritas Catering-Service gelieferten Erdbeertörtchen schme­cken lassen. Wobei der alte Lehrer Krammacher (Ulrich Hass als freundlich zynischer Kommentator und mitleidloser Show-Master), der behände hinterm Sofa hervorkriecht, schulmeisterlich anmerkt: „An Klassentreffen teilzunehmen offenbart einen eklatanten Mangel an Charakter.“ Die vier „unattraktiven Menschen“ waren seine Schüler. Die durch nichts ausgezeichnete, immer irgendwie unsichtbare Rita mit beige-kariertem kurzem Faltenrock, braver beiger Strickjacke und Haarspange in der seltsam farblosen Frisur muss man gesehen haben. Stefan Preiss spielt die personifizierte Unscheinbarkeit (sogar Ritas Eltern vergaßen ihre Existenz) mit sichtlichem Vergnügen am dauernden Nicht-Wahrgenommenwerden. Skurril gegen den Strich besetzt ist auch der unübersehbare Uwe. Anke Zillich spielt virtuos diesen fetten Jungen mit der vom Daumenlutschen notorisch feucht gewordenen Aussprache, der von der Klasse zum Würstchen degradiert wurde. Susanne Bredehöft tänzelt durch die Szenerie als entzückend beschränkte Bea mit niedlichen Rattenschwänzen und von der Kinderlähmung übrig gebliebenen, ewig quietschenden Beinschienen – „was Wachstum und Eleganz ihres Körpers stark beeinträchtigte“. Ziemlich bald kommt ihr auch noch der Rock abhanden. Günter Alt ist der rothaarige, rundliche, bettnässende Autist Paul mit zarten Gefühlen für abgestellte Möbel, einfältige Zootiere und sensible Roboter.
Ins Fell des leibhaftigen, durchaus elaboriert redenden Problembären schlüpfen all diese traurigen Figuren gelegentlich. Außerdem in die Rollen der Schönen, Reichen, Starken, Klugen, die für den Spott zum Schaden sorgten. Sogar in einer dunklen Kiste haben sie das hilflose Loserquartett vergraben und nur deshalb kurz vor dem Erstickungstod wieder hervorgeholt, um sich nicht die Karriere zu vermasseln.
Die umschwärmte Imke, die Sportskanone Bernd, der adelige Gutsbesitzer Carl-Gustav, der Topmanager Rüdiger – all die Winnertypen sind irgendwo versackt zwischen kapitaler Fehlinvestition und Psychokrüppel. So ist das Leben; bei Sibylle Berg wird’s zur schrägen Farce, in der Regie von Schirin Khodadadian zum irrwitzigen Klamauk. Ohne Rück­sicht auf irgendwelche politische Korrektheit, hundsgemein und ani­malisch fröhlich. Schauspielerisch vom Feinsten. Bea, Rita, Paul und Uwe sind nach der Midlifecrisis aufgeblüht, produzieren Software und Marketingkonzepte und sind sich einig: Die erste Million ist die schwerste. Mehr braucht man ja eigentlich nicht, wenn man gelernt hat, aufs hämische Gelächter der anderen zu pfeifen und den Rest völlig entspannt zu genießen.
Zum Totlachen – allerdings nicht gleich: Denn die goldenen letzten Jahre kommen ja noch. Möglicherweise nicht wertbeständig, aber wen schert das schon, wenn’s zur Schadenfreude leckere Erdbeertörtchen gibt? Ein kurzweiliges Theatervergnügen, das man sich nicht entgehen lassen sollte! E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca.1 ¼ Std., keine Pause
Im Programm bis: ???

Samstag, 02.01.2010

Zurück

Merkliste

Veranstaltung

Momentan befinden sich keine Einträge in Ihrer Merkliste.


Letzte Aktualisierung: 18.04.2024 21:01 Uhr     © 2024 Theatergemeinde BONN | Bonner Talweg 10 | 53113 Bonn