Das Maedchen - kultur 65 - April 2010

Erlesene Stille: Das Maedchen (Uraufführung) in der Halle Beuel

Wer sich noch an das vielfarbige Panorama der Auswanderergeschichte The Frame erinnert, das der Amerikaner Richard Maxwell 2006 im Auftrag des Theaters Bonn in der Halle Beuel entwarf, wird sich bei seinem neuen Werk verwundert die Augen reiben. Die künstliche Kunstlosigkeit und die Verweigerung von darstellerischer Virtuosität sind zwar geblieben bei dem Stück Das Maedchen, das der Leiter der renommierten New York City Players mit vier Mitgliedern seiner Truppe und drei Schauspielern des Bonner Ensembles realisiert hat. Die Bühne (Sascha van Riel) freilich ist leer. Auf die weiße Wand hinter der kahlen Spielfläche wird Maxwells Text projiziert. Es ist eine einfache Geschichte, in jeder Hinsicht kein Drama. Man kann sie mitlesen, während die Schauspieler sich in der Choreographie von Ziv Frenkel stumm bewegen. Etwa 45 Minuten lang gibt es keine Musik, kein gesprochenes Wort, nur die geschriebenen Sätze und Körper, die den Text nicht illustrieren oder gestisch kommentieren. Es ist keine Pantomime und kein Ausdruckstanz, sondern ein ruhiges Ritual aus langsamen Gängen, Berührungen und Verklammerungen.
Trotz der strengen Trennung von Text und Aktionen verschmilzt das Gelesene mit dem Geschehen auf der Bühne. Es gibt keine eindeutigen Rollen oder psychologisch durchgeformte Figuren. Es passiert einfach: Irgendwo in einer kleinen Stadt in den USA lebt der Vater (Jim Fletcher) mit seiner Tochter (Anastasia Gubareva) in einem Haus am Fluss. Die Mutter (Susanne Bredehöft) ist mit einem anderen Mann weggegangen, das Mädchen wurde der ganze Lebensinhalt des Vaters. Aber das Kind wächst heran, sehnt sich nach einem gleichaltrigen Freund (Brian Mendes) und zieht als junge Frau in eine andere Stadt.
Im zweiten Teil wechselt die Inszenierung die Spielform. Die Bühne erstrahlt in farbigem Licht, die Schauspieler sprechen Dialoge und monologische Reflexionen in ihrer jeweiligen Muttersprache – auch hier ohne direkte Rollen­identifikation. Der Vater (außer den bereits genannten männlichen Darstellern noch Raphael Rubino) besucht die berufstätige erwachsene Tochter (jetzt auch verkörpert von Sibyl Kempson und Victoria Vazquez). Sie liebt ihn immer noch aus vollem Herzen, will aber ihr eigenes Leben führen. Er ist einsam, zweifelt an seiner Männlichkeit, denkt an Selbstmord. Er kann die Zeit nicht anhalten, die Tochter ist nicht mehr sein kleines Mädchen. Sein Haus füllt sich mit Erinnerungen: „Alle Frauen in seinem Leben werden die eine“.
„Sing mir ein Lied, Papa“, bittet die Tochter, und Fletcher stimmt in dem einzigen zutiefst berührenden Moment der Aufführung ein schlichtes Kinderlied für sein „little Girl“ an. „Du hast mir dein Herz geöffnet und ich trage dich weiter. Alle teilen ihr Herz“, verkündet Susanne Bredehöft in ihrem großen Schlussmonolog. „Verehre das, was wir haben.“ Es hilft nichts, die Vergangenheit mit ihren Schmerzen und Hoffnungen zu romantisieren, es bleibt nur die Gegenwart.
Maxwell zeigt das als Versuch über das scheiternde menschliche Verlangen nach Bedeutungen. Auch als Experiment mit der Bühnensituation, die ja ständig zu Deutungen herausfordert. Das Interesse an diesem radikal undramatischen performativen Konstrukt weicht freilich bei vielen Zuschauern bald der Langeweile. Der Premierenbeifall hielt sich in Grenzen. Die von der Kunststiftung NRW geförderte Produktion gastierte nach den ersten Bonner Vorstellungen auch auf Kampnagel in Hamburg und weckte bereits die Neugier diverser Festivalmacher. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1¼ Std., keine Pause
Nächste Vorstellungen: Juni/Juli

Donnerstag, 17.11.2011

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