Die Katze auf dem heißen Blechdach - kultur 65 - April 2010

Kühle Südstaaten - Familientragödie: Die Katze auf dem heißen Blechdach in den Kammerspielen

Man sitzt sich gegenüber und beobachtet sich. Die Bühne (Damian Hitz) für das Familiendrama ist in den Zuschauerraum gebaut: ein von weißen, mal geöffneten, mal geschlossenen Gaze-Vorhängen umgebenes großes Podest. Eine kluge Raumlösung für den Ort, wo immer jemand sehen will, was er nicht sehen soll. Dass Big Daddys Geburtstagstorte sicher nicht ordentlich verspeist wird, ist ein amüsantes Soap-Comedy-Ablenkungsmanöver in dem bösen Lebens-Verlust-Drama, das Regisseur Ingo Berk aus Tennessee Williams’ 1955 in New York uraufgeführtem Klassiker Die Katze auf dem heißen Blechdach herauspräpariert. Im Zentrum steht das Bett, in das Brick mit seiner Frau Maggie nicht mehr gehen will. Deutlicher als in der berühmten Verfilmung 1959 mit Paul Newman und Liz Taylor, wo die Sexualität als zentrales Thema eher zurückgenommen wird und Maggies letzte Lüge einen potentiellen Realitätswert erhält.
Der reiche Plantagenbesitzer Big Daddy feiert seinen 65. Geburtstag. Außer ihm selbst wissen oder ahnen alle, dass es sein letzter ist. Rolf Mautz spielt diesen unerschütterlich vitalen Patriarchen und jovialen Selfmademan in Cowboystiefeln (Kostüme: Kathrin Stadeler) mit leichter Ironie. Im Grunde hat er sie alle satt, die sich anscheinend so liebevoll um ihn bemühen. Seine hysterische Gattin z.B., die ihn aufgeregt umflattert und Big Daddys Unsterblichkeit gegen alle Zweifel behauptet. Die zierliche Tanja von Oertzen ist eine Big Mama, die sich verzweifelt ans Leben klammert. Sie ist liebenswürdig in ihrer Hilflosigkeit und raffiniert gemein aus purer Naivität.
Nur noch als Kampfplatz ums Erbe begreifen der ältere Sohn Gooper – als schamlos berechnender Jurist mit aasiger Attitüde: Stefan Preiss – und seine gebärfreudige Gattin Mae die Geburtstagsparty, quasi schon als vorweg genommenen Leichenschmaus. Tatjana Pasztor mit skurrilem Haardutt ist das treue Muttertier, unter dessen glänzendem weiten Rock schon das nächste Leibesfrüchtchen heranreift, während sie ihre fünf ungezogenen Blagen zum Festtagsständchen kommandiert. „Widerliche kleine halslose Monster“, nennt Margaret diese Brut, was die stutenbissige Mae selbstverständlich als bloßen Neid auf ihr Gluckenglück interpretiert.
Die schöne, junge Maggie ist kinderlos. Big Daddys und Big Mamas spätgeborener Lieblingssohn Brick will sie nicht mehr anrühren. Er war ein Fußballstar und erfolgreicher Sportreporter, bevor er sich nach dem Selbstmord seines Freundes Skipper dem Alkohol ergab. Beim einsamen nächtlichen Hürdenlauf im Vollrausch hat er sich den Fuß gebrochen – Anlass für hämische Kommentare. Hendrik Richter humpelt mit Gips und Whiskyglas durch die Familienszenerie, als ob’s der falsche Film wäre. Ein Seelenkrüppel, der seine uneingestandene Homosexualität mit nüchterner Selbstzerstörungswut und finsterem Sarkasmus übertüncht – immer auf der Suche nach dem erlösenden Klick in seinem Gehirn. Richter spielt den rücksichtslosen Egozentriker und sein Coming-Out beim nächtlichen Show-Down mit dem Vater fabelhaft genau.
Maggie hat um die Liebe ihres Gatten mit allen Mitteln gekämpft und begehrt ihn trotz aller Demütigungen immer noch. Wenn er unbekleidet (weil der amerikanische Verlag Nacktszenen ausdrücklich verbietet, trägt er seit der Premiere übrigens einen Slip) aus der Dusche kommt, schaut sie seinen – noch nicht vom Suff gezeichneten – Körper mit dem Blick einer ungebrochen Liebenden an. Nina V. Vodop’yanova ist die geschmeidige Katze Maggie, die auf dem symbolischen heißen Blechdach lauert. Ihre unzweifelhafte erotische Attraktivität setzt sie zurückhaltend ein, die Krallen ihres Verstandes fährt sie mit atemberaubender Sicherheit aus, auch wenn sie gelegentlich zuckt bei den Tiefschlägen, mit denen alle anderen sie aus dem Ring zu boxen versuchen. Sie will nicht zurück in die dreckige Armut, aus der sie gekommen ist. Sie will nicht verbrennen als ständig missachtete Außenseiterin in einer höllisch feinen Familie. Sie ist stark, weil sie viele Schwächen durchschaut und samtpfötig warten kann auf den Moment, wo die Mäuse wehrlos im Kreis laufen. Ihr einziges Hindernis: Sie liebt Brick wahrscheinlich wirklich. Aber Katzen haben bekanntlich mehrere Leben und fallen immer auf die Füße. ­Vodop’yanovas Maggie hat ein sehr stabiles Rückgrat, das auch die krumme Tour am Ende aushält.
In Nebenrollen liefern Wolfgang Rüter als tüchtiger Hausarzt Dr. Baugh und Oliver Chomik als fromm auf Spenden spekulierender Reverend Tocker schöne Studien über die Katzbuckelei vor der Macht des Geldes. Anders als im Film hört man am Schluss wie in Williams’ Originaltext nur noch die Schmerzensschreie des todkranken Big Daddy. Er wird sterben ohne den ersehnten Enkel von Brick und Maggie. Es ist erbarmungslos kalt in der Südstaatenschwüle, die Berks Inszenierung mit feinem Gespür für emotionale Zwischentöne verwehen lässt.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2¾ Std., keine Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste Vorstellungen: 10.04./17.04./25.04./28.04./2.05./22.05.

Samstag, 05.02.2011

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