Das Tagebuch der Anne Frank - kultur 64 - März 2010

Es ist so viel geschehen...: Das Tagebuch der Anne Frank im Alten Malersaal

Im Januar 2010 starb hundertjährig Miep Gies, die die persönlichen Gegenstände der jüdischen Familie Frank nach deren Verhaftung Anfang August 1944 aufbewahrte und auch die Aufzeichnungen des Mädchens Anne rettete. Das Tagebuch, das Anne Frank im Amsterdamer Versteck führte, wurde eines der meistgelesenen literarischen Werke der Welt. Die Mono-Oper des russischen Komponisten Grigori Frid (*1915) verwendet ausschließlich Originaltexte daraus, spart jedoch Hinweise auf die politischen Hintergründe und die Judenverfolgung fast gänzlich aus. Ein Zugeständnis an das Israel feindliche Klima in der Sowjetunion (Frids Familie litt selbst unter dem stalinistischen Terror), wo das 1969 komponierte Stück zunächst nur konzertant aufgeführt werden durfte und erst 1985 szenisch auf die Bühne kam.
Frid konzentriert sich auf die Persönlichkeit der jungen Tagebuchschreiberin, deutet die Geschehnisse musikalisch an, entwickelt aber in der gesanglichen Ausformung eine ungeheure emotionale Dichte. Julia Kamenik singt die höchst anspruchsvolle Sopranpartie absolut hinreißend. Außerdem verkörpert sie Anne Frank, der sie in der Aufführung geradezu frappant ähnlich sieht, mit atemberaubender Intensität. Sie ist das fröhliche 13-jährige Mädchen, das Geburtstag feiert und sich über die Schule lustig macht. Sie zeigt unendlich berührend Einsamkeit, Angst, Verzweiflung, Hoffnungen und die kleinen Glücksmomente beim Blick aus der Dachluke in den blauen Himmel. Anne schuf sich selbst eine Adressatin für ihre Berichte und Reflexionen: „Ich will dieses Tagebuch die Freundin selbst sein lassen, und diese Freundin heißt Kitty.“
Regisseur Mark Daniel Hirsch macht dieses Buchgeschöpf in einem raffinierten Kunstgriff lebendig. Rotweiß kariert wie der Umschlag des Tagebuchs sind Kleid und Mantel der jungen Kristina Köhl (mehrfach als Solistin bei den Kinderopern im Malersaal aufgefallen), die als Annes stumme Begleiterin in vielen Szenen präsent ist. Sie taucht am Anfang und am Ende auf, um leise die beschriebenen Blätter einzusammeln, die in der verwüsteten Geheimwohnung zurückblieben, als die Versteckten abgeholt wurden. Uta Heiseke (Bühne und Kostüme) hat schon den Eingang zum kleinen Zuschauerraum wie den im Hinterhaus an der Amsterdamer Prinsengracht gestaltet und lässt auf der intimen Bühne die Enge der stets bedrohten Notbehausung spürbar werden. Durch die transparente Rückwand fällt gelegentlich der Blick auf Thomas Wise, der zusammen mit Christopher Sprenger die musikalische Leitung übernommen hat und die Aufführung alternierend mit ihm am Klavier begleitet, das hier das von Frid vorgesehene Kammerorchester ersetzt. Was den Vorteil hat, dass die Aufmerksamkeit ganz auf die Stimme und die wunderbar sensible Inszenierung der 21 Episoden aus dem kurzen Leben der Anne Frank gelenkt wird. „Es muss ungefähr zehn Jahre nach dem Krieg schon seltsam erscheinen, wenn erzählt wird, wie wir Juden hier gelebt, gegessen und gesprochen haben“, schrieb Anne am 29. März 1944 in ihr Tagebuch. Ein Jahr später ist sie im Konzentrationslager Bergen-Belsen gestorben. Das Glück, von dem sie im Finale der Oper berichtet in der Hoffnung, es vielleicht irgendwann mit jemandem teilen zu können, hielt sie schreibend fest. Ihr Schicksal bleibt unvergesslich wie diese großartige Inszenierung. Geeignet für Zuschauer ab 13 Jahren. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 1½ Std., keine Pause
Im Programm bis: ?????
Nächste Vorstellungen: 12./14./16.03.10

Samstag, 05.02.2011

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