3 x Boléro - kultur 61 - Dezember 2009

Tanz pur und postdramatisch: 3 x Boléro - Göteborg-Ballett in der Oper

Die Karten für das einmalige Gastspiel der größten skandinavischen Compagnie für zeitgenössischen Tanz in der Reihe Internationaler Highlights waren lange im Voraus ausverkauft. Zumal die Göteborger nicht nur ziemlich selbstbewusst mit ihrer Hauptstadt Stockholm kulturell konkurrieren, sondern auch gleich noch den berühmtesten Ballett-Klassiker des 20. Jahrhunderts mitgebracht hatten: Maurice Ravels 1928 uraufgeführten Boléro.
Dass dessen ständig wiederholte Rhythmen mit ihrem erotisch aufgeladenen Crescendo (etwas undifferenziert vom Band zugespielt) einen glatt wahnsinnig machen können, beweist Johan Inger mit seiner bereits 2001 für das Nederlands Dans Theater entstandenen Choreographie Walking Mad. Inger, künstlerischer Leiter des schwedischen Cullberg Ballet, mit dem er in Bonn bereits eine eisige Sonnenfinsternis (Eclipse) beschwor, präsentiert die andalusische Tanzwut mit geradezu südlichem Temperament. Ein Mann und eine Frau begehren sich, können aber nicht zueinander kommen. Wände stehen im Weg, Türen knallen zu, Paare finden sich und werden wieder getrennt. Eine besoffene Männerschar mit roten Narrenhütchen rennt den Frauen hinterher und wird spöttisch abgefertigt. In die vergnügte, scheinbar harmlose dörfliche Idylle mischt sich allerdings eine latent immer spürbare Aggressivität. Die Wände ziehen sich zusammen um eine einsame Frau, die sich verzweifelt gegen ihren brutalen Verfolger wehrt. Doch es geht weiter im Kreislauf von Anziehung und Abstoßung.
Dass der Boléro an Folter grenzen kann, macht Kenneth Kvarnström in seiner rückwärts gelesenen Interpretation Orelob klar. Die elektronische Verfremdung der Musik durch den finnischen Komponisten und Rockmusiker Jukka Rintamäki knallt auf die Ohren. In extremem Gegensatz dazu steht das klassische Bewegungsvokabular der fünf Tänzerinnen und Tänzer, die in schwarzen Trikots mit schwarzen Tüllkrägen das spanische Pathos des Boléro als düsteres Ritual zelebrieren. Ein perfektes Spiel mit abstrakten Figurenkonstellationen, ein kurzer Albtraum, der an Goyas pessi­mis­tische Capriccios erinnert.
Von der intellektuellen Tris­tesse erholen konnte man sich bei Episode 17 des 25-jährigen Shooting-Stars Alexander Ekman. Die witzige Parodie der legendären Apotheose des Tanzes ist seine 17. Arbeit als Choreograph. Er nimmt das Werk unverschämt auseinander und hängt mit seinem großen Ensemble freche Schnörkel dran, bis es wieder so frisch herumwütet wie vor 80 Jahren. Pathosfrei mit unbändiger Lust an postdramatischen Exkursionen. Tanzdramaturgisch ein Highlight war die dreiteilige Boléro-Dekonstruktion gewiss. E.E.-K.

Freitag, 26.02.2010

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