Tosca - kultur 53 - Januar 2009

Zauber der Diva - Tosca von Victorien Sardou in der Halle Beuel

„Ich lebte für die Kunst, für die Liebe…“. Das Leben der Operndiva Floria Tosca war bekanntlich kurz. Giacomo Puccinis 1900 uraufgeführte berühmte Oper machte sie unsterblich. An den zu seiner Zeit höchst erfolgreichen französischen Autor Victorien Sardou (1831 – 1908) würde man sich kaum mehr erinnern, wenn er mit seinem 1887 erschienenen, für den Bühnenstar Sarah Bernhard geschriebenen Drama La Tosca nicht den Stoff dazu geliefert hätte. Dieser verlangt geradezu nach der Musik, denn vom Gesang und der Kunst handelt Sardous politisches Melodram schließlich. Der alte Giuseppe Verdi hatte bereits ein Auge darauf geworfen, was seinen jüngeren Kollegen hellhörig machte…
Hundert Jahre nach Sardous Tod hat der Regisseur Stefan Otteni das Stück aus der Versenkung geholt, ohne auf die Theatralität von Puccinis Musik zu verzichten. Ab und zu fließen Zitate aus dem Libretto ein, deren Pathos den Text mehr oder minder freiwillig komisch unterläuft. Diesen ironischen Brechungen stellt er die emotionale Raffinesse der Musik entgegen. Eine vierköpfige Banda (Piano, Violine, Kontrabass und Akkordeon) unter der Leitung von Matthias Flake begleitet auf der Bühne die Verwirrungen im Rom des Jahres 1800. Die napoleonischen Truppen haben weite Teile Italiens besetzt. Die vom Funken der bürgerlichen Revolution entflammten fortschrittlichen Geister hoffen auf ein Ende der Unterdrückung durch Adel und Fürstenwillkür, doch die römische Republik ist gescheitert. Ausstatter Franz Lehr (auch verantwortlich für die tollen Kostüme) hat dafür die große, mit Haufen von Stühlen und Tischen möblierte Einheitsbühne rabiat eingezäunt. Hinter den Gittern patrouillieren schwarz uniformierte Wächter, über dem Tor lauert Polizeichef Scarpia in einer Kabine – immer bereit zum Angriff auf alles, was die absolute Staatsmacht in Frage stellen könnte. Raphael Rubino spielt diesen brutalen Zyniker sehr genau zwischen kühler Berechnung und raubtierhaftem Instinkt. Ein feister Faschist mit Mussolini-Allüren, dessen lustvolle Grausamkeit sich hinter einer Maske aus Jovialität und Pflichterfüllung tarnt.
Seinen Polizeiagenten Spoleta weiblich zu besetzen, ist ein überzeugender Einfall, der zudem die Symmetrie des Stückes stützt. Susanne Bredehöft macht daraus eine ganz eigene Figur: Eine Frau zwischen sexueller Hörigkeit und Frustration, erstarrt als willfährige Befehlsempfängerin, ungerührt folternd und gleichzeitig selbst gefoltert von verzweifeltem Begehren und der Machtlosigkeit im Getriebe. Das ist der mörderische Stoff, aus dem die fürchterlichsten KZ-Todesengel gemacht waren.
Den Hauptfiguren Tosca und Cavaradossi stehen zwei Sänger zur Seite, die ihnen ihre Gefühle abnehmen, sie leise trösten oder zärtlich unterstützen. Zwei Seelendoubles aus der Welt der Oper, die die Schrecken schon kennen und trotzdem immer neu erleben. Die junge Philine Bührer spielt eine von ihrem Starruhm völlig überforderte Tosca. Mal ist sie ein naives Küken, das gackernd den geliebten Mann umschwirrt, mal die kapriziöse, launische Diva, mal in großer feuerroter Robe die eifersüchtig tobende Frau. Ein egozentrisches dummes Ding, das erst angesichts der blutigen Gewalt menschliche Größe gewinnt. Grandios verkörpert die ungarische Sopranis­tin Márta Rósza die andere, erwachsene Seite der Tosca. Sie spielt und singt mit feiner Melancholie die sensible Künstlerin, die dem flammenden Zorn die Glut der Vergeblichkeit und die Asche der Trauer entgegensetzt.
Helge Tramsen spielt den Maler Cavaradossi, der in der römischen Kirche Sant’Andrea della Valle (eine Glocke ist als Zeichen übrig geblieben) die heilige Sünderin Maria Magdalena als Altarbild verewigen soll und Gerhard Richters nackte „Emma – Akt auf einer Treppe“ von 1966 herbeizitiert. Sein Cavaradossi ist ein naiver Intellektueller und ein republikanischer Kopf, der beherzt jedem politischen Häftling helfen würde, auch wenn sein Herz für die schöne Royalistin Tosca schlägt. Er setzt seine heiße Liebe zu ihr freilich so kalt aufs Spiel, dass eigentlich schon klar ist: Spätestens in einem Jahr wäre er die zickige Diva leid. Bei seinem blutigen Leiden steht ihm der Tenor Fabian Martino als nachdenklicher Gedankenfreund zur Seite. Sein ganz verhalten gesungenes „E lucevan le stelle“ ist ein Traum von einer besseren Welt, deren Sterne dem Künstler Cavaradossi nie mehr scheinen werden. Sein Tod ist sinnlos; sein Schützling Angelotti (Hendrik Richter) hat sich per Kugel erledigt; Scarpia wurde im nächtlichen Kerzenschein mit einem Tafelmesser in Toscas Hand (reichlich mühsam) erlegt.
Außerdem haben die Franzosen in der Schlacht von Marengo gesiegt, was das festliche Diner von Maria-Carolina, Königin von Nea­pel, empfindlich störte und die Tragödienmaschinerie auf Hochtouren brachte. Tanja von Oertzen spielt brillant die kleine Herrscherin über ein verlorenes Reich, ein schillernder androgyner Kobold, der dem Zauber der Diva erliegt und hysterisch ausrastet, wenn nicht mehr alles nach ihrer Pfeife tanzt. Dieses groteske Intermezzo kommt bei Puccini ebenso wenig vor wie der schleimige Kapellmeister Paisiello (perfekt: Matthias Flake), der sein Priestergewand nach dem Wind hängt. Ab und zu taucht ein kleiner Junge (Josef Bolten / Paul Lunkenheimer) auf, der sich hilflos zwischen den wüsten Ausbrüchen der Erwachsenen versteckt und dann mit hellem unschuldigem Kindersopran einen Traum von unendlich gefährdeter heiler Welt behauptet (Zitat aus Bertoluccis Filmepos „1900“).
Auch wenn die Inszenierung etwas unentschieden zwischen großem Kino, Opernpathos und Theaterplattitüde schlingert – sie hat etliche intensive Momente und behält immer den Respekt vor der Musik. Keine notwendige Aufführung, aber ein reizvolles Experiment.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 ¾ Std., eine Pause
Nächste Vorstellung: 07.01.09
Im Programm bis: ???

Samstag, 02.01.2010

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