Der Geizige - kultur 57 - Mai 2009

Funny Money - Der Geizige von Molière in den Kammerspielen

Abbas „It’s a rich man’s world“ summen Élise und Valère leise vor sich hin, während sie schaukelnd die gemeinsame Zukunft bereden und in den Bühnenhimmel entschweben. Der mittellose Valère hat sich als Haushofmeister in diese Welt eingeschlichen, um der reizenden Élise nahe zu sein, dem reichlich verzogenen Töchterchen des berühmtesten Geizhalses der Theatergeschichte. 1668 wurde Molières Prosakomödie L’Avare mit mäßigem Erfolg in Paris uraufgeführt; erst mit dem wirtschaftlichen Aufstieg des Bürgertums bekam der nur aufs Geld selbst, nicht auf dessen Tausch­wert fixierte Typus seine zukunftsweisende Gültigkeit. Harpagon braucht das Geld nicht, um es zu gebrauchen. Es ist letztlich völlig wertlos, aber Grundlage seines Selbstwertgefühls.
Goethe fand Molières Geizigen vor allem wegen der Auflösung aller Pietät zwischen Vater und Sohn „im hohen Sinne tragisch“. Brecht fand den Wucherer und Hamsterer angesichts seiner Verleugnung der Marktgesetze schlicht lächerlich. Was könnte er sein in Zeiten, in denen Geiz längst geil geworden ist und die Weltwirtschaftskrise unvorstellbare Summen in Luft auflöste? Seit der Realitätswert von Bankkonten gegen Null tendiert und das im Garten vergrabene Vermögen kein Witz mehr sein muss.
Die Regisseurin Patricia Benecke macht Molières Komödie in den Kammerspielen nicht zum verbissenen Kommentar zur aktuellen Finanzkrise, sondern rückt sie dicht an den Boulevard. Sie lässt den „Geizigen“ zappeln zwischen Familien-Dauerkrise, munterem Slapstick und Groschengrab. Sein ansehnliches Haus mit hohen Türen, etlichen überraschend sich öffnenden Fenstern für die komödiantischen Lauschangriffe und der als running gag ständig aufleuchtenden Alarmanlage hat Bühnenbildnerin Gesine Kuhn einfallsreich eingerichtet.
Die Jugend lässt rote Luftballonherzchen steigen, Papa ist ohnehin durchgeknallt, und der Diener La Flèche (pfiffig: Hendrik Richter) gibt pfeilschnell Gas (Musik: Michael Barfuß), wenn’s­ brenzlig wird. Maria Munkert als süß schmollendes Rokoko-Girlie mit hoher Perü­cke und kurzem orangerosa Kleidchen spielt Harpagons eigenwilliges Töchterchen Élise, das sich die Butter nicht vom Brot nehmen lässt, selbst wenn die väterliche Fürsorge den reichen alten Anselme als Schwiegersohn auserkoren hat. Die dadurch eingesparte Mitgift seinerseits kann Harpagon gar nicht genug preisen. Hübsch gallig gibt Arne Lenk in Apfelgrün mit zartgelbem Spitzenjabot (Kostüme: Stephanie Geiger) den Sohn Cléante, dessen Leidenschaft fürs Glücksspiel und die neuesten Outfits der adeligen Kavaliere mindestens so groß ist wie die für das entzückende Bürgermädchen Mariane (als personifizierte Unschuld: Anastasia Gubareva, ab der nächsten Spielzeit fest im Bonner Schauspiel-Ensemble). Verliebt hat er sich in das arme Kind, das mit seiner verwitweten Mutter ein solch bescheidenes Leben führt, dass Witwer Harpagon gleich die Chance zweier kos­­tenloser Haushaltshilfen gewittert hat und Mariane sogar ohne Mitgift ihrerseits ehelichen möchte.
Wolfgang Rüter spielt die Figur des habsüchtigen Harpagon mit vollem Einsatz seines schlaksigen Körpers und seiner leicht schnarrenden Stimme. Er ist gerissen und grotesk verblendet, misstrauisch und vertrauensselig, berechnend bis zur Besinnungslosigkeit, hemmungslos verliebt ins Kapital und ohne das gerings­te Verständnis für die Nöte und Gefühle seiner Umgebung. Der plötzliche Verlust seiner Kassette trifft ihn wie ein Erdbeben. „Money makes the world go round“ – für Harpagon steht sie still, wenn ihm die zehntausend Taler abhandengekommen sind. Er taumelt, windet sich in Krämpfen und verfällt fast ins Koma. Aller Jammer dieser Welt bricht aus seiner gepeinigten Seele, bevor er sich aufrafft, um den Dieb dingfest zu machen.
Die schlaue Kupplerin Frosine (witzig: Nina V. ­Vodop’yanova) schlägt sich nach Harpagons Honorarverweigerung auf die Seite der Jugend. Der verzweifelte Küchenmeister und Kutscher Maître Jacques (Ralf Drexler im flotten Wechsel zwischen Kochtopf und Hufeisen) spannt die halbverhungerten Pferde an und fabriziert ein spärliches Hochzeitsmahl. Oliver Chomik macht sich als Kreditmakler Maître Simon und als Polizeikommissar nützlich. Der clevere Valère (brillant: Helge Tramsen) zeigt sich allen Wortgefechten gewachsen.
Als Papa ex Machina im goldenen Anzug sorgt Rolf Mautz als Anselme fürs absurde Happy End. Sein Auftritt ist pures Theater und deshalb jener unüberwindliche Rest von Würde, die sich in der Banalität der Käuflichkeiten verflüchtigt hat. Anselme schließt seine verschollenen Sprösslinge Valère und Mariane glück­lich in die Arme und finanziert auch noch deren Hochzeit mit Harpagons infantiler Brut. Ohne eine Mitgift zu verlangen! Wobei freilich erst die glückliche Rettung der Geldkassette Harpagons Seligkeit vollkommen macht.
Und die Liebe? Bestenfalls ein Nullsummenspiel mit erhöhtem Verlust­risiko und volatilen Spaßzinsen! Das einzige ernst- und dauerhaft verbundene Paar bleiben der Geizige und sein Geld, das sich bekanntlich ungeschlechtlich vermehrt. Und so schaukeln sie alle sanft in die triste Lächerlichkeit ihrer vergoldeten Zukunft (Licht: Guido Paffen), und wenn sie nicht gestorben sind, begegnen wir ihnen noch heute in einer ziemlich vergnüglichen Inszenierung.
E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., eine Pause
Im Programm bis: 03.07.09

Dienstag, 12.01.2010

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