Tasmanien - kultur 51 - November 2008

Auf den Hund gekommen - Tasmanien von Fabrice Melquiot in den Kammerspielen (Uraufführung)

Um gleich mal ein paar Bildungslücken zu schließen: Tasmanien ist eine Insel südöstlich vom australischen Kontinent und beherbergt in seiner Fauna ein kleines hundeähnliches, nachtaktives, aggressiv neugieriges Tier aus der Familie der Raubbeutler, das auf den lateinischen Namen Sarcophilus harrisii hört und normalerweise ‚tasmanischer Teufel’ genannt wird. Es hat schwarzes Fell, seine Ohren färben sich bei Aufregung rot und unter Stress gibt es üble Gerüche von sich. Auf dem australischen Festland ist es wahrscheinlich schon im 14.Jahrhundert ausgestorben, steht in seiner Heimat unter Naturschutz, sollte aber nicht verwechselt werden mit dem häufiger auftauchenden Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus). Für den Rest konsultieren Sie am besten Wikipedia oder You-Tube, wo das Biest (der größte lebende Vertreter seiner Art) sogar auf Mausklick bellt.
Wenn wir jetzt noch den Sarcophilus mit dem Cynocephalus kurzschließen, ist einigermaßen klar, warum Nicolas Sarkozy (seit 2007 französischer Staatspräsident) in dem Stück Tasmanien Conrad Cyninc (Zynismus ist abgeleitet vom griechischen Wort Kyon = Hund) heißt. Nur bei der englischen Aussprache brauchen wir noch etwas Nachhilfeunterricht – weiß der Teufel, warum der Regisseur Klaus Weise da phonetisch eingegriffen hat.
Der Teufel taucht immerhin leibhaftig auf in der grotesken Parabel über Macht und Medien – veröffentlicht beim renommierten Verlag L’Arche Éditeur bereits vor Sarkozys Wahlsieg. Der Autor Fabrice Melquiot (*1972) gehört zu den interessantesten zeitgenössischen Dramatikern in Frankreich und wurde in diesem Jahr für sein Gesamtwerk (ca. 25 Stücke hat er verfasst) mit dem höchst angesehenen Prix Théâtre der Académie Française ausgezeichnet. Warum niemand in Frankreich Tasmanien aufführen wollte oder durfte, nicht einmal Melquiots Heimatbühne, die Comédie de Reims, sei dahingestellt. Dass die Bonner Dramaturgin Almuth Voß das Stück für die Uraufführung übersetzt und dass der Generalintendant selbst es inszeniert hat, ist auf jeden Fall verdienstlich. Denn neuere französische Dramatik ist – abgesehen von den Stars Yasmina Reza und Eric-Emmanuel Schmitt – eher rar.
„Tasmanien“, wie Conrad die unter seiner Führung erneuerte Grande Nation nennen will, ist eine Fiktion, und Cyninc ist nicht Sarkozy, sondern nur die Fiktion eines permanenten Parvenüs mit obsessivem Größenwahn, erotomanischer Beziehung zum einfachen Volk und sonnenköniglichen Ambitionen (von einem für Normalbürger unerschwinglichen VW-Dienstwagen namens Phaeton ist beim kurvenreichen Gipfelsturm dabei aus aktuellen Gründen entschieden abzuraten). Obwohl Thomas Huber Sarko-Yellow-Press-Darlings aus den Medien sattsam bekannte Körpersprache und Redegestik fantastisch genau bis zur Erschöpfung ausspielt. Er grinst, zappelt, hechelt, präsentiert sich schwitzend in Unterwäsche und stolziert als Mini-Napoleon ganz in Weiß (irrwitzige Kostüme von Fred Fenner!) durch den kühlen Designerschick seiner Bühne, die Manfred Blößer mit stählerner Wendeltreppe und drehbarem Glashaus hergerichtet hat.
Auf dessen Dach vögelt ein quietschbunt zwitscherndes Wellensittichpärchen (Philine Bühner und Konstantin Lindhorst, die sich später als leicht bekleidete, psychisch schwer gestörte Sprösslinge der Politikerkaste in deren labyrinthischen Luxusvillen verirren), während drinnen Conrads Gattin Claire (Kornelia Lüdorff als billiges Flittchen mit damenhaften Allüren) ihren kurz vorm Exitus rumdämmernden Ex Jean Dorfail (Günter Alt) handgreiflich tröstet. Normand Dorfail (Oliver Chomik) ist die 17-jährige Frucht dieser Beziehung und ein gründlich verkorkstes Früchtchen mit Hang zu infantilen Sexspielchen. Am liebsten mit Conrads treuer persönlicher Assistentin Souad Arpelinge (Franziska Hartmann), die ihrem Meister ständig mit dem Mikro hinterherdackelt, aber tapfer nicht jede Annäherung akzeptiert.
Hübsch diabolisch mixt der Spindoktor Pontus Bakery (Helge Tramsen) in seiner Drogenküche die Cocktails (ein bisschen de Sade kann nicht schaden!) für Conrads verteufelte Träume, wobei sich die Unterwelt offenbar so pudelwohl fühlt, dass sie eins ihrer putzigsten Exemplare (Raphael Rubino mit weißem Trikot und roten Hörnchen wie aus dem Kasperletheater) gleich an die Oberfläche schickt, wo es als Hundeflüsterer Conrads Reden weiter spinnt. Die lauschende Kötermeute mit niedlichen Comic-Masken (im Disneyland bei Paris hat Rolex-Blinky Sarkozy mit teurer Marken-Sonnenbrille seine neue italienische Flamme nach der Scheidung von der Retterin rumänischer Krankenschwestern spektakulär vorgeführt) ist schlicht herzig und so zahnlos, dass großmäulige Herrschaftsrhetorik locker zur analen Kehrseite greifen kann: So vielsagend gefurzt wurde noch kein Afterdiskant im politischen Diskurs.
Der per ultimativem Kaiserschnitt aus dem Bauch von Conrads Lieblingshündin Magdalena (Susanne Bredehöft geistert als zotteliges Untier animalisch absurd durch die Szenerie) blutig befreite Welpe, getauft auf den Namen „Wort“, macht sich zusehends breit zwischen Familien-Reality-Show und Politspektakel. Hendrik Richter mutiert vom gemeuchelten Tierarzt über einen tapferen Magazinfotografen zum Fernsehmoderator, dem angesichts von Conrads verbalem Tsunami nur noch der Strick bleibt. Rolf Mautz taucht kurz als ehrenwerter Herbert Fabre-Sangue auf, unterstützt von einem auf mittlerer Fallhöhe, also auf ca. Bauchnabelmaß, getragenen Chirac-Porträt. Tatjana Pasztor schwebt­ flüchtig als Marie Santa-Vulva (alias Sarkozys sozialistische Gegnerin Ségolène Royal alias – welch tollkühner Esprit! – revolutionsgeschädigte Rokoko-Königin Marie-Antoinette) übers gläserne Triebtreibhaus-­Kuckucksnest.
Jarrys König Ubu (uraufgeführt 1896) und Ionescos Der König stirbt (uraufgeführt 1962) lassen vom westlichen Nachbarn grüßen. Der Premierenbeifall war höflich. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 2 Std., keine Pause
Nächste Vorstellung: 06.09.08
Im Programm bis: ???

Dienstag, 10.03.2009

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