Der Gott des Gemetzels - kultur 48 - Juni 2008

Brillantes Wortgefecht - Der Gott des Gemetzels von Yasmina Reza in der Halle Beuel

Der elfjährige Ferdinand Reille hat seinem Schulkameraden Bruno Houillé bei einer Rangelei zwei Zähne ausgeschlagen. Unter gebildeten, bürgerlich sozialisierten Menschen regelt man so was einvernehmlich. Deshalb haben sich die Eltern des Täters bei den Eltern des Opfers eingefunden. Die folgende Zimmerschlacht hat die junge Bonner Regisseurin Jennifer Whigham – Yasmina Rezas aktuell fast überall gespielter Theaterrenner Der Gott des Gemetzels ist ihre erste abendfüllende Inszenierung und ein absolutes Meisterstück – in der Halle Beuel mit bösem Witz und tollkühnem Tempo auf die Bühne gebracht.
An dem riesigen schrägen Tisch der Familie Houillé (Bühne: Gesine Kuhn) werden keine Lebenslügen aufgedeckt. Die vier höchst kultivierten Figuren aus dem gehobenen Pariser Mittelstand sind bekannte Gesichter mit den wie üblich gemischten Gefühlen, und die jeweiligen Paare kennen sich verdammt gut. Es wird auch nicht der Triumph der Barbarei über die Zivilisation zelebriert. Dass es dort Brüche gibt und dass Gewalt nicht einfach durch Regeln einzudämmen ist, wissen sie genau. Sie sind schließlich nicht naiv, kennen sich in der Welt bestens aus und rezipieren die Medien mit der gebotenen Skepsis.
Véronique Houillé z.B. ist nicht nur professionelle Kunstkennerin, sondern arbeitet auch gerade an einem Buch über den Darfour-Konflikt. Birte Schrein verkörpert diese geradlinige, politisch korrekte Menschenrechtsaktivistin und sensible Ästhetin perfekt. Auf Véroniques intellektuellem Niveau werden selbst Kuchenrezepte zur Kampfzone im gepflegten Small-Talk. Ihr bodenständiger Gatte Michel (von Beruf Großhändler für Haushaltswaren) kann ihren geistigen Höhenflügen nicht immer folgen, sorgt jedoch mit solidem Selbstbewusstsein dafür, dass nichts anbrennt. Günter Alt ist der monströs sympathische Patriarch Michel. Dass er den Hamster schnöde am Straßenrand entsorgt hat, war zwar nicht nett, aber jeder Tierschutz hat halt Grenzen. Der erfolgreiche Jurist Alain Reille strampelt ohnehin im Hams­terrad seiner Klienten. Ohne sein ständig vibrierendes Handy wäre er eine Nullnummer. Stefan Preiss (s. auch Seite 11) ist der souveräne Machtmensch Alain, der unerschütterlich grinsend und frei von jeder Moral seine Kanzlei antreibt, damit sein von einem Medikamentenskandal bedrohter Großkunde, ein internationaler Pharmakonzern, nicht aus dem lukrativen Ruder läuft. Alains dekorative Gattin Annette (Vermögensberaterin), hat sich für den demütigen Auftritt bei den Houillés um genau den Kick zuviel schick gemacht (Kostüme: Uta Heiseke), der irgendwann peinlich wird. Susanne Bredehöft rutscht als Annette auf dem glatten Parkett der unüberwindlichen Toleranz von der feinsinnig nervösen Grande Dame – der bekotzte unersetzliche Kokoschka-Katalog ist inzwischen schon Theaterlegende – blendend sicher in die Rolle der hys­terischen Furie.
Alain und Annette hätten längst mit guten Gründen gehen können. Tun sie aber nicht, weil Alain plötzlich Spaß gefunden hat am professionellen Kreuzverhör. Und in Véronique, die irgendwann entnervt ihren Mann verprügelt, eine geistig und erotisch ebenbürtige Gegnerin. Die angestrebte Versöhnung der Kids ist längst vergessen, wenn unter Einwirkung von Michels kostbarem altem Rum die Fetzen des bürgerlichen Anstands fliegen wie die von Annette zerrupften Tulpen.
Der Gott des Gemetzels hat nur mal seine Flügel erhoben und vier Menschen auf dem Boulevard des verlogenen Lebens völlig unblutig ein bisschen angekratzt. Dem von Michel in die ersehnte Freiheit entlassenen Hamster geht’s also zwischen Zivilisationsmüll, Wald und Wiesen richtig gut.
Die Küche vom „Gott des Gemetzels“ liefert derweil Schauspielerfutter vom Feinsten. In Bonn ist sie mit einem exzellenten Darstellerquartett sternverdächtig und bedingungslos empfehlenswert. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 80 Min., keine Pause
Im Programm bis: Wiederaufnahme in der nächsten Spielzeit

Mittwoch, 03.12.2008

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