Faust - kultur 48 - Juni 2008

Zwischen Sehnsucht und Satan - Faust von Charles Gounod in der Oper

Klar, dass Faust heute mit dem Laptop auf die Suche geht nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Trotzdem sind die hohen schwarzen Wände in seinem Studierzimmer übersät von mit Kreide hingekritzelten Formeln. Die kluge Inszenierung von Vera Nemirova, die seit ihrer ersten Bonner Regie (Verdis Macbeth in der Spielzeit 2003/04) eine steile Karriere in der Opernwelt gemacht hat, zeigt die Brüche zwischen aktueller Gegenwart und zeitlosem Mythos. Gounods Oper Faust ist unter allen Vertonungen diejenige, die sich am engsten an Goethes Drama hält, auch wenn sie aus Faust I vor allem die tragische Liebesgeschichte Margarethes herausfiltert.
Nach dem Pakt zwischen dem im Kerker seines Wissens verzweifelnden Faust und dem Jugend und frische Lust versprechenden Mephisto öffnen sich im wunderbar klaren Bühnenbild von Ausstatterin Ulrike Kunze die düsteren Mauern zu einem hellen Raum mit Galerieumgang und vielen Türen. Margarethe, auf die sich Fausts Begehren richtet, arbeitet in einem Seniorenpflegeheim. Was möglicherweise ein Zugeständnis an die kippende Alterspyramide ist (Rollstühle und diverse Gehhilfen scheinen derzeit auf deutschen Bühnen Konjunktur zu haben), aber vor allem bittere Ironie. An der Seite von Mephisto landet Faust mit seiner großen existenziellen Sehnsucht nicht im blühenden Leben, sondern im verblühenden. So wie durch Mephistos bösen Zauber die Blumen verwelken, mit denen Margarethes jugendlicher Verehrer Siebel seine Angebetete beschenkt. Susanne Blattert singt und spielt den naiven, tapferen Jungen anrührend. Männlich souverän präsentiert sich der Bariton Aris Argiris, der sich mit dieser Rolle aus Bonn verabschiedet, als Margarethes strenger Bruder Valentin, der ihre verlorene Ehre mit dem Tod bezahlen wird.
Faust und Mephisto erscheinen in identischen Kostümen wie Zwillinge. Die zwei Seelen in einer Brust sind zwar nicht eben neu, werden aber raffiniert ausgereizt. In der Gartenszene ist es Mephisto, der sich an Fausts Stelle verführerisch anschleicht und Margarethes Widerstand bricht. Die kokette Nachbarin Marthe (witzig: Anjara I. Bartz) überlebt die teuflischen Annäherungen nicht und wird unter Hohngelächter entsorgt.
Der bei der Premiere kurzfristig für Bülent Külekci eingesprungene junge Tenor Arturo Martín bringt alle Facetten seines Faust stimmlich glänzend und darstellerisch feinfühlig zum Leuchten. Dass Mephisto seinem zeitweiligen Gebieter immer die Schau stiehlt, ist unvermeidbar. Martin Tzonev verkörpert mit seinem feinen Bass alle Schattierungen zwischen intellektuellem Hochmut, unverschämter Sinnlichkeit und diabolischer Hintergründigkeit. Die munter saufende Gesellschaft beim dörflichen Weinfest (mit putzig auf einem Fass-Karren thronendem Bacchus) führt er mit seinem Lied vom Goldenen Kalb frech an der Nase herum. In der Kirchenszene zelebriert er im roten Priestergewand auf der Galerie spöttisch eine schwarze Messe von gespenstischer Erhabenheit.
Exzellent meistert Julia Kamenik die sängerisch anspruchsvolle Partie der Margarethe. Ihr Sopran glitzert bei der Juwelenarie, ist lyrisch zart und mädchenhaft beim schlichten Volksliedton und hochdramatisch beim traurigen Ende als wahnsinnig gewordene Kindsmörderin. Margarethe kümmert sich liebevoll um die vor sich hindämmernden Alten im Pflegeheim, denen sie wie ein Märchen aus fernen Zeiten das Lied vom König von Thule vorsingt. Auch sie sehnt sich in der Enge zwischen Speisesaal und Kapelle nach einem anderen, größeren Leben, das ihrer Jugend und Schönheit entspricht. Sie ist die aus tiefstem Herzen Fühlende in dem kurzen Moment der Liebesseligkeit. Als verlassene, von allen geächtete Schwangere muss sie kniend den Kirchenboden putzen.
Nemirova erfindet psychologisch genaue und manchmal auch drastische Bilder für die unaufhaltsam auf die Katastrophe zusteuernde Geschichte. Valentins Heimkehr aus dem Krieg wird zum bitteren Fanal zwischen Särgen, trauernden Hinterbliebenen und einer perfekt dressierten, zum Marschritual mit Spielzeuggewehren paradierenden Kinderschar. Die Walpurgisnacht ist ein grotesker Senioren-Maskenball. Die große Erlösung am Schluss verweigert Nemirovas Regiekonzept. Margarethe wird von der Schaulust des Volkes bei ihrer Hinrichtung fast erdrückt. Faust landet wieder in seinem kalten, ausweglosen Gedankenverlies.
Der Chor unter der Leitung von Sibylle Wagner leistet sängerisch und spielerisch wie gewohnt Hervorragendes. Wolfgang Lischke lässt am Pult des hochkonzentriert musizierenden Beethovenorchesters romantischen Farbenreichtum erklingen. Das Premierenpublikum feierte das großartige Vokalensemble, Dirigent, Orchester und Inszenierungsteam geradezu frenetisch. Zu den Höhepunkten der an Glanzlichtern wahrlich nicht armen Bonner Opernsaison 2007/08 gehört dieser „Faust“ gewiss. E.E.-K.

Aufführungsdauer: ca. 3½ Std., inkl. Pause
Im Programm bis: 21.06.08
Nächste Vorstellung: 06.06.08

Mittwoch, 03.12.2008

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